„Pavillon“ nennen Rainer Kurek und seine Mitstreiter die Struktur, die auf Bambus-Stützen steht. Denn sobald sie am 25. Juli 2024 an der Montessori-Schule in Penzberg eingeweiht ist, soll sie Schutz und Schatten spenden für Aktivitäten von Theater, Sport, Pausen und Kontemplation bis hin zu Tanz und Party. Dazu wird sie noch mit widerstandsfähigem Hopfen begrünt. „Der Pavillon ist Ausdruck und Abbild von Transformations- und Realisierungs-Kompetenz, Abenteuerlust und Innovationskraft“, sagt Kurek kurz vor der Aufstellung im Juli.
Abenteuerlust und Risikobereitschaft: Diese Einschätzung des Geschäftsführers der AMC Automotive Management Consulting GmbH ist auch persönlich gemeint. „Wir haben dieses Projekt völlig unterschätzt“, bekennt er. Während die AMC üblicherweise vorentwickelte Technologie an die Automobilindustrie abgibt (und fortan Stillschweigen über den Fortgang bis zur Serienreife wahrt), sollte es hier anders sein: Auf eigene Faust und Kosten sorgten die Technologie-Partner für die Realisierung des nachhaltigen Pavillons bis zum fertigen Bau, inklusive allen nötigen Nachweisen.
Basalt-Wickelstruktur als Ultraleichtbau-Beispiel
Die Idee sollte zur Bewährungsprobe werden für die von Kurek vorangetriebene Ultraleichtbau-Technologie „xFK in 3D“, die hier und dort in einem Straßenfahrzeug schon unerkannt unterwegs ist. Mehr noch, zur Bewährungsprobe für ihre Nachhaltigkeit und systemische Planbarkeit. Und die bestand sie. Die beim Pavillon-Bau erzielten Erkenntnisse fließen inzwischen in ein kommerzielles Projekt der AMC ein, in der es um Mikromobilität geht. Doch dazu später mehr, zurück zum Pavillon.
‚xFK in 3D‘ ist eine Wickelstruktur im 3-dimensionalen Raum, die außer lasttragenden Fasern sonst fast kein Material kennt – darum ist sie „ultraleicht“. X ist die Variable für die Faser. Früher war das Carbon, beispielsweise bei dem Sitz, der 2019 als „Proof of Content“ preisgekrönt wurde. Beim Pavillon steht B für das X, die Basaltfaser. Sie macht die Struktur nachhaltig. Basalt ist in der Erdkruste stark vertreten und die Gesteinsfaser lässt sich energieeffizient und reproduzierbar gewinnen.
Klimaneutralität ist das Ziel
„Wir kommen ohne Nachbearbeitung und Finish aus. Trotzdem mussten wir nachweisen, dass unsere ‚BFK in 3D‘-Strukturen in Richtung Net Zero gehen“, blickt Kurek zurück. „Und zwar in allen drei Phasen – in Entwicklung und Fertigung, in der Nutzung und im Second Life.“ Das erfüllen die Strukturen durch
- die digitale Prozesskette vom Entwurf bis zum Wickelplan,
- das roboterisierte Wickeln ohne Abfälle,
- das extrem niedrige Gewicht bei der Nutzung in Fahrzeugen und durch
- das Monomaterial Basalt, das sich zurückgewinnen lässt („Design for Circularity“).
Beim Pavillon kommen noch Bambus-Stützen hinzu, die als Mono-Biomaterial erst recht kreislauffähig sind. Nur bei der Matrix gibt es Einschränkungen, weil noch kein geeignetes biobasiertes Harz verfügbar ist. Alle diese Nachhaltigkeits-Zusammenhänge sind auf einen Blick nachvollziehbar, müssen aber bilanziert und verifiziert werden. Die damit verbundene Arbeit macht viele der 400 Entwicklungs- und Schulungstage aus, die das Team rückblickend in den Pavillon investierte. Der Aufwand war groß für das freitragende Pagoden-Dach. Doch er war nötig, auch als Basis für weitere Vorhaben.
Das Wickelprojekt an der Montessori-Schule
Dabei hat alles harmlos angefangen. 2021 wandte sich Schuldirektor Tomas Schindhelm mit einer Idee an die AMC. Schon mehrfach hatte sie Wickel-Praktika für ihn durchgeführt. Wie wäre es mit einem Sonnenschutz-Pavillon, den die Kinder und Jugendlichen selbst wickeln im Sinne der Montessori-Pädagogik („Hilf mir, es selbst zu tun“)? Damit rannte er offene Türen ein bei dem Technologie-Consulter. Nachhaltigkeit sieht Rainer Kurek als die „größte Herausforderung der Zeit und unserer Kinder“. Und „Leichtbau ist der Enabler“. Die ingenieurtechnische Befähigung der Jüngeren hält er für eine zentrale Aufgabe.
Auch Dr. Ulrich Hindenlang ließ sich begeistern. Der einstige Mitarbeiter im Berechnungsteam des Münchner Olympiastadions hatte sich für ‚xFK in 3D‘ in der Vergangenheit bereits verdient gemacht. Als Senior-Chef der Ingenieurgesellschaft Lasso erstellte er den Wickelplan. Zuletzt wickelten die Montessori-Schüler manuell die 45 steckbaren ‚BFK in 3D‘-Module, die zu ihrem Pavillon montiert wurden – immer wieder begleitet von Hindenlang. Nur 75 kg wiegt die 6 x 4 m² große Struktur. Durch ihre manuelle Arbeit erbrachten die Schüler den Beweis, dass das 3D-Raumwickeln eine „komplexitätsreduzierte Ultraleichtbau-Technologie“ ist. Auch dank der digitalen Prozesskette.
Botschaft für den Automobilbau: Konzepte neu denken
Das war im Juli 2024, fast drei Jahre nach Projektstart. Was ist seither passiert? Die Forderung nach mehr Klimaschutz ist lauter geworden. Die Situation der europäischen Automobilindustrie hat sich zugespitzt, die Margen sinken. Der Wettbewerbsdruck aus Asien steigt und gleichzeitig der Transformationsdruck. „Von mir als Unternehmensberater werden Lösungen verlangt“, macht Kurek klar. Welche? Hier wird er deutlich. Er plädiert für ein holistisches und systemisches Managementverständnis. „Erfolg werden wir nur wieder haben, wenn wir ein Fahrzeug komplett neu denken. Die Tools dafür haben wir.“ Und Leichtbau solle zentrale Führungsgröße sein, weil er die größten Effekte erziele.
„Frontloading“: Was will der Käufer wirklich?
Bei den Tools denkt Kurek an Analysen, wie sie sein Haus AMC („Automotive Management Consulting“) einsetzt: Der „Customer Value“ beantwortet die Frage, was der Kunde wirklich wünscht und wofür er zu zahlen bereit ist. Der „Technology Value“ ermittelt, welche Technologie zu welchem Preis machbar ist. 2022 hat die AMC dann noch ein drittes Tool entwickelt, den „Sustainability Value“. Er klärt die wichtig gewordene Frage: Was kostet Nachhaltigkeit? Auch die Basaltfaser wurde damit bewertet.
Diese Analysen legen eine Basis, um früh über erfolgsversprechende Produktentwicklungen entscheiden zu können. Kurek nennt es „Frontloading“: „Nur wenn wir unser Erfahrungswissen aus 150 Jahren Automobilgeschichte Ziel-orientiert nutzen und auf kurzem Wege einsetzen, können wir einen neuen Vorsprung erarbeiten.“ So wie beim Pavillon: Von Anfang an war klar, was die Schule will und wie ihr Raumkonzept aussieht.
Zum Exempel: Ein autonomes Weinberg-Hilfsmobil
Kurek exerziert es vor. Mit der AMC arbeitet er an einem neuen Projekt, einem „Unmanned Ground Vehicle“ (UGV) für Steillagen im Weinanbau. „Mit 190 Weingütern waren wir in Kontakt und darum weiß ich, dass sie das Leichtbau-UGV brauchen.“ In dieses Projekt fließen die Praxiserfahrungen ein, die beim Pavillon mit der nachhaltigen Basaltfaser gemacht wurden. Das Mikromobil soll den physiologischen Zustand von Pflanzen erfassen, Krankheitssymptome detektieren und Heilmaßnahmen durchführen – zum Beispiel durch Sprühen. Leicht muss das UGV sein, um den Boden zu schonen und Antriebsenergie zu sparen – diese liefert die Sonne. Für Big Data sorgt ein Hotspot-Turm im Weinberg.
Die AMC konstruiert das UGV beginnend bei Null, von der Fahrzeugarchitektur übers Antriebskonzept bis zur Steuerung via GPS-Daten. Damit es am Markt überzeugen kann, sei es „komplett neu gedacht“. „Mit dem UGV verbinde ich intelligenten Ultraleichtbau. Es verkörpert die Bündelung und Dokumentation meines gesamten Wissens“, sagt der Leichtbau-Pionier. So könnte das Mikromobil zum Exempel für Frontloading werden.
Wickelstrategie: Es geht noch einfacher
Konzepte neu denken ist offensichtlich die Kunst. Das gilt besonders dann, wenn ein Projekt nicht nach Plan läuft. Das war auch beim Basalt-Pavillon nicht anders. Der erste Wickelplan scheiterte. Er war zu anspruchsvoll. Denn Jugendliche bringen nicht die Zeit und Geduld zum Wickeln mit wie Roboter, die es sonst tun. Es wäre zu Verzögerungen gekommen wie bei Stuttgart 21 oder dem Hauptstadt-Flughafen Berlin, vermutet Kurek. Simulationsprofi Dr. Hindenlang hat also einen zweiten Basalt-Pavillon entworfen, den sie in der Juli-Hitze mit Hochdruck fertigwickelten und montierten.
Bis nach Berlin ist das Bildungsprojekt der Montessori-Schule bekannt geworden. Zur Einweihung spricht Ministerialrat Werner Loscheider vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein Grußwort. Der Spitzenbeamte für Leichtbau wendet sich direkt an die Jugendlichen: Leichtbau soll weiter Zukunft haben mit ihnen.