In der Session „Wissenschaft in der Produktionspraxis“ liefert das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium (AWK) Ansätze fürs erfolgreiche Implementieren neuer wissenschaftlicher Methoden mit Mehrwert für die Produktion.
„An der Schneide des Drehstahls entscheidet sich die Dividende des Unternehmens“ lautet ein bekanntes Zitat von Georg Schlesinger aus dem Jahr 1904, das auch heute noch von zahlreichen Unternehmen angeführt wird. Rund 100 Jahre später befinden wir uns im Zeitalter der Industrie 4.0 und Thesen wie „Data is the New Oil“ belegen den Stellenwert der Digitalisierung. Doch sollten produzierende Unternehmen Daten nicht zum Selbstzweck oder zu reinen Dokumentationszwecken erheben. Vielmehr ergeben sich erhebliche Potenziale für die Produktionspraxis, wenn die Datenerhebung, -bevorratung und -analyse in wissenschaftlicher Herangehensweise erschlossen werden. Innovationen ergeben sich vor allem dann, wenn wissenschaftliche Methoden nicht aus den Ingenieurwissenschaften, sondern aus anderen Disziplinen angewandt werden.
Die beiden eingangs genannten Zitate untermauern eindrucksvoll den Paradigmenwechsel, der in den vergangenen Jahren Einzug gehalten hat: Längst bedient sich die Produktionstechnik nicht mehr nur der Erkenntnisse aus wenigen, einzelnen Wissenschaftsdisziplinen. Als Vorreiter kann sicher Frederick Winslow Taylor dienen, der mit dem „Scientific Management“, beziehungsweise „Scientific Engineering“, Methoden der Arbeitswissenschaften einführte und mit dem heute nach ihm benannten „Taylorismus“ Wegbereiter für einen Großteil der Arbeitsabläufe der heutigen Produktion war.
Doch wie groß ist der Suchradius, aus dem wir wissenschaftliche Methoden außerhalb der Ingenieurwissenschaften nutzen und an die Produktionstechnik adaptieren können? Hier wird der Beitrag zum AWK zunächst einen Überblick über Beispiele geben, die aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen stammen und bereits in der Produktionsforschung betrachtet wurden.
Ein Beispiel aus der Zoologie ist der „Ant-Colony-Optimization-Algorithmus“, der das Schwarmverhalten von Ameisen imitiert, die bei der Futtersuche ihre Pfade mit Pheromonen markieren und anhand der Pheromonkonzentration den kürzesten Pfad finden. Diese Art der Schwarmintelligenz lässt sich in der Produktionstechnik unter anderem zur Bahnoptimierung in der Koordinatenmesstechnik oder in Zerspanprozessen anwenden und ist in der Lage, mit Hindernissen umzugehen. Andererseits ist das menschliche Gehirn Vorbild für neuronale Netze und sämtliche Methoden, die der künstlichen Intelligenz zugeordnet werden und in der Produktionstechnik beispielsweise zur Selbstoptimierung genutzt werden. Die beiden genannten Ansätze nutzen zwei gegensätzliche Ergebnisse der Evolution, bei der sich das Verhalten des Schwarms genauso etabliert hat wie das Lernverhalten des Individuums. Gleichzeitig zeigen sie auch, dass für den Transfer in die Produktionstechnik die dahinterstehenden Modelle entscheidend sind.
Modelle helfen auf dem Weg zu neuen Methoden
Die Modellbildung nimmt insgesamt eine zentrale Rolle beim Erschließen neuer wissenschaftlicher Methoden für die Produktionspraxis ein. Hier leistet die Produktionsforschung in Aachen, vor allem am Fraunhofer IPT und am WZL der RWTH Aachen, entscheidende Beiträge. Angefangen von statistischen Modellierungsansätzen im Bereich der „Predicitive Analytics“ über die sogenannte „Produktionsklinik“, die sich ähnlich zu einer Universitätsklinik auf komplizierte und seltene Fälle spezialisiert und diese behandelt, bis hin zur Simulationsplattform „AixViPMaP“, die im Rahmen des Exzellenzclusters „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ für die internetbasierte, multiskalige Simulation von Werkstoffen, Herstellprozessen und Prozessketten entwickelt wurde. (mw)
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