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„Wir werden eine spannende Zeit erleben“

Für Prof. Johann Tomforde verlangt Elektromobilität nach interdisziplinärer Vernetzung
„Wir werden eine spannende Zeit erleben“

Nach einigen Jahren Vorarbeit hat Prof. Johann Tomforde 1992 die Leitung des Gesamtprojekts Mercedes City Car übernommen. Der Autodesigner und Inhaber der Teamobility AG testete damals den ersten Elektro-Smart-Vorläufer. Wie der „Vater des Smart“ die Zukunft der Mobilität sieht, sagt er im Interview.

Herr Professor Tomforde, ab wann könnte in Deutschland der Zustand der nachhaltigen Mobilität erreicht sein?

Zehn, fünfzehn Jahre wird es dauern, um von einer flächendeckenden nachhaltigen Mobilität sprechen zu können. Weit über 90 Prozent der Fahrzeuge werden aktuell noch mit klassischen Antrieben gebaut. Das lässt sich nicht so schnell ändern. Weil es kaum einen Königsweg gibt, müssen Hersteller bis zu sechs Antriebsarten parallel weiterentwickeln, um die CO2-Vorgaben zu erfüllen. An diesem weltweiten Bestreben, sich verstärkt um die Energieeffizienz zu kümmern, geht kein Weg vorbei. Betrachtet man dies als nachhaltige Mobilität, sind wir schon mitten drin.
Wenn der Umbruch erst zwischen 2020 und 2030 zu erwarten ist, ist das nicht eine fürchterlich lange Durststrecke?
Gewiss, die Durststrecke ist für Erfinder und Menschen wie mich, die sich mit dem Thema seit über 20 Jahren intensiv beschäftigen, viel zu lang. Es ist zu befürchten, dass uns andere überholen, die frei vom Ballast bestehender Fabriken und konventioneller Fertigungsmethoden, Materialien und Antriebe gleich auf die neuen Technologien setzen können. Auch bei Batterietechnologien war Deutschland einst führend, heute müssen wir uns alles wieder erarbeiten. Wir brauchen also diesen Zeitraum, um darin richtig fit zu sein.
Wird Mobilität in Zukunft mehr als Dienstleistung denn als fahrbarer Untersatz verstanden werden?
Mobilität ist eine mit vielen Services verbundene Dienstleistung. Wir denken aber immer noch in Produkten. Kein Unternehmen bietet die alltägliche Mobilität als Ganzes an. Deshalb sprechen Themen wie Bequemlichkeit oder Kosten immer noch für das eigene Auto. Wer aber gesamtwirtschaftlich und -ökologisch etwas erreichen will, sollte sich fragen, ob er mehrere Autos für alle Eventualitäten vor der Tür braucht. Der Verbrauch ist dabei noch das Geringste, gravierender ist die Energie, die bei der Fahrzeugherstellung verbraucht wird. Ich appelliere, sich über die Gesamtbilanz Gedanken zu machen, von der Herstellung eines Autos, dessen Nutzung, Recycling und Wiederverwertung.
Verbraucher stellen sich diese Frage aber nicht.
Weil sie nicht darauf sensibilisiert werden, etwa in Werbung und Medien. Dieser Gesinnungswandel braucht mehrere Jahre. Die Hersteller sollten aber nicht darauf warten, bis Kunden darauf reagieren. Wegen der sehr langen Entwicklungszeiträume sollten sie zügig damit beginnen, sich Gedanken über den künftigen Autobesitz zu machen. Welche Art Auto ist in Zukunft sinnvoll für den Kunden, welche ergänzenden Mobilitätsmodelle könnten seine Wahl vereinfachen? Ansätze wie Car2go von Daimler gibt es ja bereits. Sie müssen nur dahingehend weiterentwickelt werden und transparent machen, ab wann es sinnvoll ist, auch mal eine Strecke mit dem Elektrotaxi zurückzulegen oder mit Bahn und Bus. Die Vernetzung der einzelnen Mobilitätsanbieter ist heute das Problem. Viele Firmen glauben, alles selber machen zu müssen. Umso mehr müssen wir das transdisziplinäre Zusammenwirken, auch mit völlig anderen Branchen zusammen, anstreben.
Wird dies 2020 so weit sein?
Eher nicht, so wie es sein könnte. Es sei denn, es läuft völlig anders und ein Konzern, der sich heute mit IT-Dienstleistung und Kommunikation beschäftigt, zögert nicht länger und lässt Autos bauen und bietet ein IT-gestütztes Mobilitätssystem mit allen Facetten an. Die Deutsche Bahn ist da schon auf gutem Weg, Mobilität von Haustür zu Haustür anzubieten.
Die Bahn hat also die größten Chancen, hier vorzupreschen?
Mit ihrer Infrastruktur hat sie gute Voraussetzungen. Finanziell gesehen sind es aber die Firmen der IT- und TK-Branche. Die OEM haben das große Problem, dass sie rund 90 Prozent ihrer F+E-Budgets der nächsten fünf bis zehn Jahre in die Weiterentwicklung, Perfektionierung und Effizienzsteigerung ihrer vorhandenen Fahrzeugkonzepte und Antriebe stecken müssen. Wir werden eine spannende Zeit erleben.
Gehört zur individuellen Mobilität von morgen auch, dass der Kunde sehr viel stärker die Konzeption und Gestaltung eines Autos mitbestimmen kann?
Zumindest sind in anderen Branchen die Instrumente und Wünsche dazu vorhanden. Eine Wohnungseinrichtung kaufen Sie auch nicht von der Stange, sondern stellen sie individuell zusammen. Beim Auto ist das nur sehr bedingt mit teuren Sonderausstattungen und Wunschpaketen möglich. Hinzu kommt, dass die jüngere Generation es gewohnt ist, ihre Anschaffungen konfigurieren zu können. Eine viel größere Rolle spielt aber das Thema Prosument bei sogenannten Fresh-up-Paketen, einer Art Update, eine Modernisierung eines bestehenden Fahrzeugs.
Also Austauschbarkeit bis hin zu einzelnen Baugruppen?
Genau, aber das erfordert eine völlig andere Bauweise. Erst mit modularen Konzepten lassen sich Komponenten austauschen, was sich übrigens viele Autokäufer wünschen. Zu 70 Prozent gilt dies fürs Interieur, zu 30 Prozent fürs Exterieur, wie unsere Befragungen ergeben haben. Aber beim Elektroauto ist die Technologie ohnehin anders zu bewerten. Dessen Antriebskomponenten halten 20 Jahre und länger, da sie weniger verschleißen. Gesamtökologisch braucht es einer anderen Denkweise, um es nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig vorteilhafter für den Kunden, wenn dieser sich nach einigen Jahren beispielsweise andere Sitze oder ein schickeres Cockpit wünscht.
Das von Ihnen entwickelte Elektro-Van-Konzept Teamo zielt in diese Richtung?
Mit dem Teamo haben wir eine Leichtbau-Plattform geschaffen, die alles bietet, was man zum Fahren braucht, einschließlich der kompletten Sicherheitsstruktur, Batteriebunker, Antriebstechnik und Elektronik. All dies macht 70 bis 75 Prozent der Kosten eines Elektroautos aus. Warum sollen die restlichen 25 Prozent, also die Karosserie und das Interieur, nicht auswechselbar sein? Warum nicht ein runderneuertes Fahrzeug kaufen, bei dem das Design und die Verschleißteile ausgetauscht sind. Die Antriebstechnik jedoch ist auf lange Laufzeit ausgelegt und kann zwei oder drei Generationen laufen. Dadurch wird nicht nur die Gesamtbilanz deutlich besser, sondern es entstehen neue Lifecycle-Geschäftsmodelle.
Wird eine Art kompaktes Stadtauto überhaupt allen Anforderungen den Städten dieser Welt gerecht?
In den Jahren 1990/91 haben wir uns bei Daimler intensiv dem Mercedes City Car gewidmet. Daraus ist der Smart entstanden. Die Überlegung, ein batterieelektrisch betriebenes Stadtauto zu bauen, zielte damals schon auf ein für alle Familienmitglieder nutzbares Auto. Alle sollten es für die Fahrt in die Stadt oder für Kurzstrecken nutzen können. Wird ein E-City- Car aber nur 4000 oder 5000 Kilometer im Jahr gefahren, ist es ökologisch ziemlich wirkungslos. Der Aufwand für dessen Herstellung samt Batteriesystem und Elektrotechnik verlangt danach, dass ein solches Auto gefahren wird. Je mehr Kurzstrecken und Stop&Go-Verkehr insgesamt, desto eher lohnt sich ein Elektroauto!
Welche Reichweite sollte es sein?
Bei circa 30 000 bis 40 000 Kilometer gemischtem Verkehr pro Jahr lohnt sich heute schon die Investition in ein Elektrofahrzeug. Mit zukünftig fallenden Batterie- und Antriebspreisen und im reinen Stadtverkehr schon bei unter 20 000 Kilometer pro Jahr. Es könnte etwa für Wohnquartiere eingesetzt werden oder in neuen Carsharing-Modellen als Stadtauto viel unterwegs sein. Überall dort lohnt sich ein Elektroantrieb viel mehr als beim privatgenutzten Zweit- oder Drittauto, wie es derzeit propagiert wird. Übrigens: Abgesehen von den Mega Cities in den Schwellenländern gibt hierzulande rund 2000 Städte von 8000 bis drei Millionen Einwohnern. Deswegen kann man auch nicht das Stadtauto bauen, das weltweit in allen Städten funktioniert. Das ist der falsche Ansatz.
Genau so wenig hat das Weltauto funktioniert?
Genau. Mein Slogan lautet deshalb „Think local and act local“. Dass sich gewisse baukastenartige Module überall verwenden lassen, steht ja außer Frage. Jede Kultur, jeder Kontinent, jedes Land und jede Stadt stellt andere Anforderungen. Da muss man viel individueller darauf eingehen können und deshalb fordert das einfachere Bauweisen, die nicht millionenfach und universell durch die gleiche Blechpresse gejagt werden müssen.
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