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Renaissance der Wassermühlen

Deutsche Ingenieure hieven alte Technik zur dezentralen Stromversorgung ins Hightech-Zeitalter
Renaissance der Wassermühlen

Auf der Suche nach regenerativen Energiequellen haben deutsche Ingenieure die Flussmühlen wiederentdeckt. Auf Hightech getrimmt, könnten sie künftig an vielen Flüssen für eine dezentrale Stromversorgung sorgen. Die Technik wird zunächst in Sachsen-Anhalt erprobt, taugt aber durchaus für den Export – etwa in Entwicklungsländer.

„Die Solarenergie ist tagsüber auf Sonne angewiesen, die Windkraft auf Wind. Wenn man aus fließendem Gewässer Wasserkraft gewinnen will, hat man so gut wie keine Einschränkungen: Ein Fluss wie die Elbe etwa ist immer verfügbar. Eine Regulierung des Wasserstands ist nicht nötig. Fische und andere Lebewesen werden dadurch außerdem nicht beeinträchtigt“, sagt Mario Spiewack, der am Zentrum für Produkt-, Verfahrens- und Prozessinnovation GmbH (ZPVP) GmbH in Magdeburg das Forschungsnetzwerk „Fluss-Strom“ leitet.

Zwölf Industrieunternehmen und vier Forschungsinstitute – alle zum großen Teil aus Sachsen-Anhalt – haben sich dafür zusammengetan, um kleine, im Fluss verankerte Kraftwerke zu entwickeln. Insgesamt sechs Forschungsprojekte laufen hier derzeit parallel, zwei davon werden mit Hilfe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. „Die Politik ist offen für unsere Ideen, sie will die Technologie“, stellt Spiewack mit Genugtuung fest. Das war nicht immer so. Vor wenigen Jahren noch galten er und seine Mitstreiter als Spinner, die die Jahrhunderte alte Tradition der Wassermühlen auf der Elbe wiederbeleben wollten. Diese trieben früher beispielsweise Mühlsteine zum Mahlen von Mehl an, bevor sie mit zunehmender Binnenschifffahrt vor rund 100 Jahren verschwanden.
Von Nostalgie ist bei den Wassermühlen-Experten allerdings keine Spur. Im Gegenteil: Sie wollen mit den Projekten Geld verdienen. „Das funktioniert nur, wenn wir durch eine effiziente Serienfertigung kleine Wasserkraftanlagen einsatzfertig an die jeweiligen Nutzungsstellen in Flüssen transportieren können“, stellt Spiewack klar. Um die Rahmenbedingungen der einzelnen Standorte – also Fließgeschwindigkeit oder Fallhöhe sowie Wassertiefe oder -menge zu erfüllen, sollen die Anlagen aus einem modularen Baukasten zusammengestellt werden. Spiewack: „So lässt sich für jede Standortsituation die optimale Lösung generieren.“
Damit sich ein solches Wasserkraftwerk für den Betreiber rechnet, muss es außerdem eine Leistung von 10 bis 15 kWh bringen und sich innerhalb von zehn bis zwölf Jahren amortisieren. „Unser Ziel ist es, die Kosten bei der Herstellung der Flussmühlen zu reduzieren und die Effizienz etwa durch Gewichtsreduzierung zu steigern“, erklärt der Projektleiter.
So erfolgt beim Projekt „Fluss-Strom TEC“ die Entwicklung und prototypische Umsetzung eines schwimmenden Flusswasserkraftwerks mit neuartigem Klappschaufelwasserrad in Leichtbauweise mit hoher Vorfertigungstiefe als Basis für eine kostengünstige, industrielle Serienfertigung. Darüber hinaus werden für den Anwendungsfall neuartige, wartungsarme und umweltschonende Gleitlager aus Teflon und Polyamid für Wasserkraftanlagen entwickelt und erprobt sowie ein softwaregestütztes Konfigurationswerkzeug zur standortspezifischen und standardisierten Projektierung von Wasserkraftanlagen realisiert.
Der Konfigurator stammt dabei vom Pinneberger Ingenieurbüro Hartmuth Drews, der auch die Vorlage für das Segmentkranz-Wasserrad in Leichtbauweise liefert. Gefertigt wird es von der Metallbaufirma Hesseland.
Drews ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Idee der modernen Flusskraftwerke nur mit Ingenieurwissen realisierbar ist. Sein modular aufgebautes Klappschaufelwasserrad hat er so konstruiert, dass die Schaufeln, die sich im Strömungsschatten befinden, senkrecht aus dem Wasser gezogen werden. Dadurch wird vermieden, dass sie beim Austauchen das Wasser anheben – was den Wirkungsgrad deutlich reduzieren würde. Dank dieser Idee konnte der Durchmesser des Wasserrads reduziert werden, so dass es heute mit höheren Drehzahlen arbeitet. Ein 5 m breites und 1 m tief eintauchendes Wasserrad sorgt laut Drews bei einer Fließgeschwindigkeit von 2 m/s für einen Ertrag von rund 8 kWh im Jahr. Der Ertrag reicht laut Spiewack, um mehrere Häuser mit Strom zu versorgen – oder auch die Straßenlaternen eines Dorfes zu illuminieren. Durch eine Koppelung von Flussmühlen lässt sich der Ertrag außerdem weiter steigern.
Kosten wurden bei der Entwicklung dadurch gespart, dass die Energieumwandlung über einen Generator erfolgt, der direkt mit dem Wasserrad gekoppelt wurde. Dadurch spart man sich ein mehrere tausend Euro kostendes Getriebe zwischen Rad und Generator. „Möglich wurde dies durch die jüngsten Innovationen im Elektromaschinenbau, die insbesondere durch eine spürbare Verringerung des Masse-Leistungs-Verhältnisses gekennzeichnet sind. Das heißt, die gleiche abgegebene Leistung lässt sich mit einem geringeren Motorgewicht erzeugen“, erläutert Peter Ramme, Leiter Vertrieb & Entwicklung bei der Ramme-Elektro-Maschinen-Bau GmbH. Im für Flüsse typischen Low-Speed-Bereich wird dies möglich durch moderne Magnettechnologien, angepasste Wicklungssysteme und spezifische Kühlverfahren. Typische Lösungen dieser Antriebsgeneration sind Torque-Motoren, die in ihrer ringförmigen Ausführung zu einer deutlichen Verbesserung des Masse-Leistungsverhältnisses geführt haben. Ramme: „Hinzu kommt der Vorteil, dass sie in der Regel als Direktantriebe konzipiert werden können und damit ohne ein mechanisches Getriebe auskommen. Beide Effekte wirken sich wiederum positiv auf die Kosten des Gesamtsystems aus.“
Einen Schwerpunkt legen die Experten von „Fluss-Strom“ auch auf den Einsatz neuer Werkstoffe: „Die üblicherweise verwendeten Pendelrollenlager sind wenig geeignet für den Zweck und überdies zu teuer. Daher wurden Gleitlager aus Kunststoff entwickelt“, erklärt Spiewack. Die Wasserradschaufeln werden aus Gewichtsgründen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen gefertigt.
Einen ersten Prototyp dieser schwimmenden Kraftwerke konnte man im Sommer auf der Elbe in Magdeburg sehen. Es glich einem Katamaran und sollte dank einer Kapazität von 130 kWh bei maximaler Leistung mehrere hundert Haushalte mit Strom versorgen können. „Doch das hat aufgrund der Gesamtkonstruktion leider nicht so funktioniert, wie gedacht“, sagt Spiewack. Dennoch sind er und seine Mitstreiter froh über den Versuch: „Wir haben wertvolle Erfahrungen für die Weiterentwicklung gesammelt.“ Diese mündeten in das erste Projekt außerhalb des Forschungsrahmens: Am Auslauf der Talsperre Wendefurth im Harz wird bald ein 4 m breites Wasserrad in Betrieb gehen.
Spiewack ist sich sicher, dass dies erst der Anfang der Wassermühlen-Renaissance ist. Denn im Prinzip kommen die schwimmenden Kraftwerke für alle Flüsse mit einer Fließgeschwindigkeit größer als 1,5 m/s in Frage. So hat „Fluss-Strom“ schon viele Anfragen aus Deutschland, aber auch aus dem Ausland vorliegen. Sogar in Südafrika interessiert man sich für die alte, neue Technologie made in Germany.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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