Inhaltsverzeichnis
1. „Für uns ist der Robotics Kongress ein Türöffner zur Welt der Roboter“
2. Robotik-Pionier Torsten Kröger vom KIT als Keynote-Redner
3. „Künstliche Intelligenz ist nichts anderes als maschinelles Lernen“
4. Handgestrickte Algorithmen versus datengetriebene Lernansätze für KI
5. Reinforcemnet Learning wird sich laut Kröger bei Robotern durchsetzen
6. „Künstliche Intelligenz ist keine Magie“
7. Für jeden war etwas dabei
8. Das waren die Vorträge
Matthias Kerschner ist kein Robotik-Experte. Trotzdem fühlte sich der Leiter Werkstechnik bei Miwe Meiningen auf dem Robotics Kongress in der Technology Academy auf dem Hannoveraner Messegelände im Februar gut aufgehoben. „Wir stellen Backöfen her, die im Lebensmitteleinzelhandel eingesetzt werden“, erzählt er. „Im Moment spielt bei uns die Robotik noch keine große Rolle, aber wir planen die Einführung einer automatischen Schweißzelle.“
„Für uns ist der Robotics Kongress ein Türöffner zur Welt der Roboter“
Zudem schauen die Thüringer über den Tellerrand und überlegen, wo es bei ihnen in der Produktion weitere Ansätze für eine Automatisierung gibt. Zum Beispiel in der Metall- und Blechbearbeitung oder in der Montage. „Natürlich setzen wir auch auf das Wissen der Zulieferer und Integratoren, aber das Ganze ist für uns ein Lernprozess. Bevor es richtig los geht müssen wir sicher sein, welches System zu uns passt.“ Der Robotics Kongress, der in diesem Jahr zum achten Mal stattfand, ist für Kerschner der Türöffner zur Welt der Robotik. „Ich höre hier viel Neues, aber die Inhalte sind für mich wichtig und die Referenten bringen die Themen verständlich rüber. Für mich ist die Veranstaltung genau der Einstieg, den ich gesucht hatte.“
Man muss also kein Robotik-Experte sein, um beim Robotics Kongress durchzublicken. Kein Wunder, denn das Prinzip „Von Profis für Profis“ war nie das Ziel der Veranstaltung. Von diesen geschlossenen Gesellschaften gibt es genug im Land. Die Themen in der Technology Academy sind praxisorientiert und zeigen auf, wie man mit Robotern einen Mehrwert in der Produktion erreicht. Die Referenten präsentieren Lösungen für Probleme, wie sie in tausenden von Betrieben jeden Tag anstehen. Und wer richtig tief einsteigen will, kann den Experten nach dem Vortrag ansprechen. Dafür gibt es Pausen, die bewusst etwas länger geplant sind.
Robotik-Pionier Torsten Kröger vom KIT als Keynote-Redner
Für die Technik-Trends, die bei so einer Veranstaltung nicht fehlen dürfen, konnten wir in diesem Jahr Prof. Torsten Kröger gewinnen. Kröger gehört zu den erfolgreichsten Robotik-Forschern in Deutschland und leitet seit 2017 das Institut für Anthropomatik und Robotik am KIT in Karlsruhe. Er hat sich mit künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen bereits beschäftigt, lange bevor die Themen zu einem ausgewachsenen Hype hochgeschaukelt wurden. Die allgemeine Hysterie um die Zukunft der Automatisierung sieht Kröger eher skeptisch. „Es ist irritierend, wie viel Geld einige Firmen ausgeben, um kleine Start-ups zu kaufen, die in diesem Bereich unterwegs sind“, erzählt er. „In London wurde jüngst für ein kleines Unternehmen, das gerade mal neun Monate alt war, 680 Mio. US-Dollar bezahlt.“ Schlagzeilen in der Presse wie „Wer die Daten besitzt, der wird die Welt regieren“ sind für Kröger überzogen und obendrein falsch.
Richtig ist allerdings, dass das Interesse an KI immens ist. So war zum Beispiel die jährlich stattfindende NIPS-Konferenz, laut Kröger einer der wichtigen Veranstaltungen rund um das maschinelle Lernen, im letzten Jahr nach elf Minuten ausverkauft. „Da geht es zu wie bei einem Rockkonzert“, sagt der Robotik-Experte. Und dass vor kurzem ein Bild, gemalt von einem neuronalen Netz, für 400.000 US-Dollar den Besitzer gewechselt hat, rundet den ganzen Trubel nach unten ab.
„Künstliche Intelligenz ist nichts anderes als maschinelles Lernen“
Was Kröger aber am meisten wundert ist, dass keiner so recht weiß, was künstliche Intelligenz eigentlich genau ist. Der Begriff sei weder in der Wissenschaft, noch in der Literatur und Gesellschaft wohl definiert. „Wenn ich jeden hier fragen würde, was er unter KI versteht, würde ich wahrscheinlich 220 verschiedene Antworten bekommen“, scherzt Kröger. Aber er lässt seine Zuhörer nicht im Regen stehen und klärt auf: „Künstliche Intelligenz ist nichts anderes als maschinelles Lernen und das wiederum sind Software-Algorithmen, die aus Daten lernen. Gerade in der Robotik hat diese Technik eine große Bedeutung.“
Im Grunde gibt es laut Kröger zwei verschiedene Möglichkeiten, Roboter dazu zu bringen das zu tun, was sie tun sollen. Die erste sind die handkreierten Methoden – die klassischen Algorithmen –, die von Ingenieuren entwickelt werden. Die zweite sind datengetriebene Ansätze – das sogenannte Reinforcement Learning –, bei denen Roboter eine Aufgabe immer besser lösen, ohne dass dafür auch nur eine Zeile Programmcode geschrieben werden muss.
Handgestrickte Algorithmen versus datengetriebene Lernansätze für KI
Was mit Methode eins, den handgestrickten Algorithmen, möglich ist, demonstriert Kröger mit einem Video, in dem ein Roboter den penetranten Annäherungsversuchen eines Menschen immer wieder geschickt ausweicht. Es kommt nie zu einer Berührung, egal wie beherzt sich der Mensch auf die Maschine stürzt, und somit auch zu keiner Verletzung des Menschen durch den Roboter. Der stählerne Werker ist in dieser Applikation mit einer Tiefenbild-Kamera ausgestattet. Die ausweichende Bewegung wird in Echtzeit berechnet und führt den Roboter zugleich an seine physikalischen Grenzen. „Wenn es die Situation verlangt, werden die maximalen Motorströme und Drehmomente abgerufen“, so Kröger. „Dahinter steckt ein einfaches Konzept zur deterministischen Bewegungsberechnung unter Berücksichtigung von kinematischen und dynamischen Randbedingungen.“ Die Herausforderung in diesem Beispiel ist die Bahnplanung. Diese ist nicht wie im klassischen Fall vorprogrammiert, sondern die Bewegung des Roboters wird während der Laufzeit, also im Regeltakt, berechnet.
Mit einer sogenannten hybriden Regelung lässt sich diese erste Herangehensweise an die Roboter noch verfeinern. Dabei werden – kompakt ausgedrückt – Sensorsignale in die Rückkopplungsschleifen der Roboterregler eingebaut. So ein Regler kann zum Beispiel eine Kamera nutzen – aber nicht nach dem Motto: Ich schaue, ich plane, ich führe aus –, sondern: Ich schaue und führe sofort aus. So wie es der Mensch im Grunde auch macht, der Augen und taktiles Empfinden kombiniert nutzt und präzise ein Glas oder eine Computermaus greift. Was mit so einer hybriden Regelung möglich ist, zeigen beeindruckende Videos auf Youtube, Suchbegriff „Boston Dynamics“. Darin stapft ein zweibeiniger Roboter über einen verschneiten Waldboden mit kaum sichtbaren Stolperfallen. Hier müsste auch ein Mensch genau schauen, wo er hintritt. In einem anderen Film springt die Maschine jeweils mit einem Bein eine Kastentreppe hoch – wie ein professioneller Leichtathlet beim Koordinationstraining in der Halle.
Reinforcemnet Learning wird sich laut Kröger bei Robotern durchsetzen
Methode zwei, das Reinforcement Learning, ist nicht minder beeindruckend und wird laut Kröger langfristig in der Robotik eine wichtige Rolle spielen. Bei dieser Vorgehensweise agiert der Roboter mit der physikalischen Welt und kann sich dabei selbst beobachten. Wenn die Maschine etwas richtig oder gut gemacht hat, bekommt sie dafür eine Belohnung in Form einer sogenannten Reward-Funktion. „Man kann das vergleichen mit dem Leckerli für den Hund, der etwas richtig gemacht hat“, veranschaulicht der Robotik-Forscher.
Kröger demonstriert das Prinzip an einem Beispiel aus seiner Zeit bei Google. „Wir wollten damals einem Roboter beibringen, beliebige Objekte zu greifen, auch solche, die er vorher noch nie gesehen hat“, erklärt er. Der Versuchsaufbau bestand aus 14 Roboterarmen mit einem spartanischen Greifer und einer einfachen Kamera, die gerade mal 512 x 512 Pixel zu bieten hatte. Die Reward-Funktion lautete, die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Griffs zu maximieren. Wenn der Greifer ganz geschlossen war, gab es keine Belohnung, denn dann hatte der Roboter offensichtlich nichts in der Hand. War der Greifer nicht ganz geschlossen, hatte der Roboter etwas erwischt und wurde belohnt.
Unter diesen denkbar einfachen Bedingungen überließ man die Roboterschar zwei Monate sich selbst und wartete ab, was geschah. „Am Anfang passierte nicht viel“, erzählt Kröger. „Das Resultat waren Zufallsbewegungen, so eine Art Rauschen.“ Doch dann stellten sich die ersten Effekte ein. So schob ein Modell zum Beispiel einen Tacker beiseite, um danach einen Legobaustein besser greifen zu können. „Das hatte damals kein Mensch programmiert, das hatte sich das System selbst beigebracht“, betont Krüger. Die Maschinen lernten selbstständig das sichere Greifen von transparenten Objekten und kamen allein darauf, Schraubzwingen am Massenmittelpunkt anzugehen, weil das der robusteste Griff ist. „Am Ende konnten wir weit über 10.000 Objekte greifen“, fasst Kröger zusammen.
„Künstliche Intelligenz ist keine Magie“
Das alles ist laut Kröger keine Magie, sondern lediglich ein neues Tool im Werkzeugkasten der Entwickler, allerdings ein mächtiges. „Dahinter steckt ein Riesenpotenzial, das sich im Laufe der nächsten Dekade zeigen wird“, so seine Prognose. „Allerdings wird es nicht so kommen, dass wir plötzlich alles datengetrieben lösen. Je mehr Modellwissen wir einbringen können, desto einfacher und schneller wird sich der Erfolg einstellen.“ Der Königsweg lautet: Viel Wissen bereitstellen und nur noch den Teil lernen, der zu komplex ist und für eine Programmierung zu aufwendig wäre.
„In der San Francisco Bay Area gibt es Spezialisten, die der Ansicht sind, dass wir jetzt nur noch lernen“, fasst der Robotik-Pionier am Ende seines Vortrags zusammen. „Wir brauchen keine Regler mehr, keine Kinematik-Modelle und auch keine Dynamik-Modelle, wir lernen einfach alles. Aber das wird nicht funktionieren, wir müssen auch etwas beisteuern.“
Veranstaltet wird der Robotics Kongress gemeinsam von der Zeitschrift Industrieanzeiger und der Technology Academy der Deutschen Messe.
Save the Date: Der nächste Robotics Kongress findet am 12. Februar 2020 in Hannover statt.
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Für jeden war etwas dabei
Die Hütte war mal wieder voll bis unter das Dach. 220 Teilnehmer hatte das Kernthema Mensch-Roboter-Kollaboration nach Hannover gelockt. Darunter nicht nur Spezialisten, sondern auch Einsteiger, bei denen in ihrem Unternehmen die erste Roboter-Integration ansteht. Ich habe mit vielen gesprochen und hatte den Eindruck, dass jeder etwas mit nach Hause nehmen konnte. Für mich das entscheidende Kriterium für eine gelungene Veranstaltung.
Einen Ein- und Rückblick in beziehungsweise auf den Robotics Kongress 2019 finden Sie auch hier: www.youtube.com
Das waren die Vorträge
- Keynote – Torsten Kröger, KIT
Mensch und Roboter – Eine (R)evolutionsgeschichte der Zusammenarbeit - Heinz Berger Maschinenfabrik GmbH & Co. KG
Vernetzte Roboter-Anlage mit intelligenter Ressourcen-Steuerung - Universal Robots
Die Vielfalt von MRK-Anwendungen anhand von Praxisbeispielen - Pilz GmbH & Co. KG
Mensch-Roboter-Kollaboration normenkonform und erfolgreich umsetzen - Fraunhofer IFAM
Mobile Roboter zur Bearbeitung von Großbauteilen - Stäubli Tec-Systems GmbH Robotics
Smarte Produktion … Alles (un)klar? - Sick AG
Sicherheitssysteme für sichere Produktivität und einfache Integration in ihrer Roboterapplikation - Schunk GmbH & Co. KG
Digitalisierung unserer Schunk Produkte - Comau Deutschland GmbH
Kollaborierende Roboter sanft wie eine menschliche Berührung - drag and bot GmbH
Roboter programmieren mit Apps und ohne Spezialwissen - Keba AG
Heavy Load Robot Collaboration - Kendrion GmbH
Elektrisch schaltbare Bremsen – ein Lösungsbeitrag für die Sicherheit in Robotersystemen