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Captain Kirk auf dem Holzweg

Kuka-Roboter schüttelt Fahrer im Harvester-Simulator ordentlich durch
Captain Kirk auf dem Holzweg

Wissenschaftler von der RWTH Aachen haben einen realitätsnahen Simulator für einen sogenannten Harvester gebaut, mit dem in Wirklichkeit Bäume aus dem Wald entnommen und auf der Stelle verarbeitet werden. ❧ Uwe Böttger

Wälder werden in Mitteleuropa nicht mehr gerodet. Stattdessen werden einzelne Bäume gezielt und schonend aus dem Wald entnommen. Welche das sind, entscheidet der Förster auf Basis von Durchforstungsplänen mit definierten Entnahmemengen und Strategien. Für so eine nachhaltige Forstwirtschaft muss er den Wald und die natürlichen Ressourcen genau kennen, um zu verhindern, dass mehr Holz entnommen wird als nachwachsen kann. Deswegen arbeitet der Förster heute nicht mehr ausschließlich zwischen Kiefern, Buchen und Tannen, sondern zunehmend im Büro vor dem Computer. Aber auch bei der Arbeit im Gelände ändern sich die technischen Hilfsmittel. Die Digitalisierung hält auch hier Einzug. Computer unterstützen den Förster dabei, den Wald zu inventarisieren, Bäume exakt zu lokalisieren und Schäden zu kartographieren. Im Moment kennzeichnet der Förster die Bäume, die entnommen werden sollen, noch mit Farbe. In Zukunft wird das digital erfolgen.

Auch Axt und Motorsäge sind aus der professionellen Forstwirtschaft weitestgehend verschwunden. Heute wütet der Harvester, zu Deutsch Holzvollernter, durch den Wald. Die Maschine bewegt sich auf Rädern und Ketten und erledigt das Fällen, Entasten, Ablängen und Ablegen der Bäume in einem Durchgang. Ein spezielles Navigationssystem im Cockpit zeigt dem Fahrer die markierten Stämme an, die verarbeitet werden sollen. Trotz aller Technik und Elektronik sind die Anforderungen an den Fahrer eines solchen Ungetüms hoch. Damit der Boden und der Wald nicht unnötig beschädigt werden, muss er bei seiner Arbeit präzise vorgehen. Das setzt voraus, dass er seine Maschine gut beherrscht. Daher zählt die Ausbildung von Forstmaschinenführern im Simulator schon seit Jahren zum Standard. Der Bediener muss lernen, synchron und koordiniert bis zu fünf Achsen zu bewegen. Nur so kann er von der Rückegasse aus die zu entnehmenden Bäume erreichen, ohne Nachbargehölz zu beschädigen. Mit Rückegasse (oder auch Holzweg) meint der Fachmann einen unbefestigten, forstwirtschaftlichen Weg, auf dem die gefällten Bäume zum Verladeplatz an einer befestigten Forststraße transportiert werden.
Eine weitere Herausforderung sind starke Neigungen im Gelände, die den Harvester samt Fahrer in grenzwertige Situationen bringen können. Forscher an der RWTH Aachen erweiterten deshalb einen Harvester-Simulator um eine Komponente, mit der die Arbeit im Hang haptisch erlebbar wird. Hierzu wird ein Roboter KR 500 TÜV des Augsburger Herstellers Kuka um wesentliche Teile einer Fahrerkabine und eine stereoskopische Projektionsmöglichkeit ergänzt. Das System soll in Zukunft ganz neue Trainingsmöglichkeiten bieten.
Das Institut für Mensch-Maschine-Interaktion der RWTH Aachen hat keine Mühen gescheut und rüstete die Fahrerkabine mit allen notwendigen Bedienelementen und Visualisierungskomponenten aus, damit der Nutzer maximal in die Szene eintauchen kann. Neben einer hochauflösenden 3D-Projektion in der kuppelförmigen Projektionsfläche wurden reale Touchscreens und die typischen Bedienelemente und Pedale der Arbeitsmaschine verbaut. Ein Soundsystem sorgt für die auditive Realität. Und über eine spezielle Software wird der Roboter so bewegt, dass sich der Fahrer im Simulator so fühlt, als fahre er mit dem Harvester durch das Gelände.
Die Augsburger Roboterbauer kennen sich aus mit dem Transport von Menschen und haben mit dem ihrem Modell Coaster schon reichlich Erfahrung gesammelt. Dabei handelt es sich um ein Fahrgeschäft auf Roboterbasis, mit dem sich Achterbahnfahrten mit wilden Drehungen, gewagten Loopings und spektakulären Schwenkbewegungen simulieren lassen. Während der Suche nach einem geeigneten Roboter spielten die Aspekte Sicherheit und Bewegungsfreiheit bei den Aachener Wissenschaftlern eine große Rolle. Das Modell von Kuka zählte von Anfang an zur engeren Wahl, denn schließlich werden mit dem Roboter Menschen bewegt. Dafür ist aus Sicherheitsgründen eine TÜV-Zertifizierung erforderlich, die der KR 500 TÜV bereits hatte.
Die Aachener wollten von Anfang an eine roboterbasierte Lösung, denn mit der bisherigen Stewart-Plattform ließ sich nur ein kleiner Arbeitsbereich und insbesondere nur geringe Neigungswinkel realisieren. Durch seine sechs Freiheitsgrade und seine Bauform bietet das Kuka-Modell einen wesentlich größeren Arbeits- und Bewegungsraum als herkömmliche Plattformen. Außerdem kann der Roboter bis zu 500 kg tragen und bietet eine Reichweite von knapp 3 m.
Im Betrieb simuliert die Fahrerkabine am Roboter eine realistische Fahrt mit dem Harvester durch bewaldetes und unwegsames Terrain. Die Simulationssoftware beobachtet permanent den Fahrersitz und berechnet über sogenannte Wash-Out-Algorithmen die notwendigen Bewegungen der Roboterhand, die den Fahrgast die jeweiligen Beschleunigungen spüren lassen. Dadurch wird das Gefühl der Immersion natürlich signifikant verbessert. Die notwendigen Roboterposen werden über das sogenannte Remote Sensor Interface (RSI) in den Regelkreis des Roboters eingespeist. Auf diese Weise führt die Maschine am Ende genau die Bewegungen aus, die exakt dem Gelände entsprechen.
Wie aber kommen die Waldmodelle in den Simulator? Die Antwort ist verblüffend, denn die eingesetzte Technik stammt aus dem Grundlagenwissen der Raumfahrt. Unter dem Schlagwort „Virtueller Wald“ werden Luftbilder von Satelliten und ferngesteuerten Drohnen in eine Datenbank eingespeist. Eine innovative Simulationstechnik wiederum überträgt die Daten auf einen Desktop-PC, ein mobiles Endgerät oder in diesem Fall auf den großen Bildschirm in der Fahrerkabine. Der Förster ruft diese Daten täglich auf seinem Laptop ab. Auch der Harvester mit seinen speziellen Sensoren kann diese Informationen aus der Datenbank nutzen und weiß somit immer, wo er sich gerade im Wald befindet und das mit einer Genauigkeit von einem halben Meter. Und wenn der Harvester einen Baum fällt, wird das unmittelbar in der Datenbank vermerkt. Anhand der Position erkennt die Sensorik, um welchen Baum aus dem Datenbestand es sich handelt. Durchforstungsaktionen werden automatisch in das System eingepflegt. Für den Förster ist das besonders praktisch, denn so steht ihm permanent und in Echtzeit der aktuelle Baumbestand digital zur Verfügung.
Die aktuellen Waldmodelle sind die Grundlage für die realitätsnahe Ausbildung von Maschinenführern, denn mit der neuen Technik lassen sich die Übungen noch realitätsnäher durchführen. Einige Anwärter auf den Forstdienst sollen sich bei den Übungseinheiten bereits gefühlt haben wie Captain Kirk von der Enterprise. Beamen kann der Roboter von Kuka noch nicht, aber zumindest verhilft er der Forstwirtschaft zu mehr Effizienz.

Web-Hinweis
Mit dem Harvester-Simulator unterwegs durch bewaldetes und unwegsames Gelände: https://youtu.be/DYKjlaprWh0
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