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Roboter hebt sein eigenes Gewicht

Pilot-Anwendung bei Daimler: Energieeffizientes Roboter-Duo montiert Hinterachsgetriebe
Roboter hebt sein eigenes Gewicht

Im Daimler-Werk Mettingen bei Stuttgart hat die Roboter-Zukunft schon begonnen. Eine neue Generation von Leichtbaurobotern fügt dort die Hinterachsgetriebe der E- und C-Klasse zusammen. Mit 100 W Leistungsaufnahme arbeiten die Modelle ausgesprochen energieeffizient.

Begleitet von einem leisen, klopfenden Geräusch drückt der linke Arm ein Lager in das Gehäuse. Der Arbeitsvorgang ist abgeschlossen. Die zwei orangefarbenen Roboterarme weichen zurück und fassen neue Bauteile für das nächste Hinterachsgetriebe, das sie am Fließband im Daimlerwerk Mettingen bei Stuttgart zusammensetzen. Die Arme sehen aus wie sehr bewegliche, menschliche Gliedmaßen. Neben dem äußeren Eindruck haben der Mensch und speziell diese Maschinen noch weitere Gemeinsamkeiten: Mit nur 100 Watt Leistungsaufnahme arbeitet der Leichtbau-Arm von Kuka ausgesprochen energieeffizient. Außerdem hat der Arm ein Gefühl für die Umgebung. Drückt etwas gegen den Arm oder stößt das Gerät gegen ein Hindernis, dann regelt die Maschine ihre Kraft augenblicklich herunter. Bei einer Kollision bleibt der große Schlag aus.

Dieses Fingerspitzengefühl braucht der Roboter auch bei seiner Aufgabe. Der rechte Arm ergreift ein so genanntes Tellerrad und fädelt das bis zu 14 kg schwere Bauteil in das topfförmige Getriebegehäuse ein. Das ist Millimeterarbeit. Durch eine seitliche Öffnung kommt der zweite Arm entgegen und hilft beim Positionieren und Fixieren. Das Einfädeln ist entscheidend. Stößt das Tellerrad zu stark gegen das Gehäuse oder gegen das Antriebskegelrad, in dessen Zahnräder es eingreifen soll, muss das Bauteil in die Qualitätskontrolle. In der Regel ist es dann Schrott. „Doch dieser Fall tritt nur selten ein“, erklärt Peter Abele, Leiter der Getriebeproduktion Achsen im Daimlerwerk in Mettingen.
Über 17 000 Hinterachsgetriebe hat das Roboterarm-Duo seit März 2009 gefertigt. Die Pilotproduktion arbeitet bislang täglich in einer Schicht. Bald sollen die Roboter rund um die Uhr laufen. Ein paar Schritte entfernt bauen noch Mitarbeiter an zwei manuellen Stationen die Hinterachsgetriebe zusammen. In einer Schicht müssen 318 Mal die schweren Tellerräder in das Gehäuse einfädelt werden. „Muskelkater am Abend kennen wir nicht“, sagt ein Monteur und grinst. Die Männer an den Arbeitsstationen sind kräftig und gut trainiert.
Die neuen Roboterarme sollen nicht Arbeitsplätze ersetzen. Vielmehr wollen die Daimler-Manager die Vorzüge der neuen Leichtbauarme erstmalig in der Produktion nutzen. Im Vordergrund steht eine flexible und energieeffiziente Automatisierung. Im Vergleich zu üblichen Industrierobotern ist das Gerät mit 14 kg extrem leicht. Dass er mit 14 kg quasi sein eigenes Gewicht heben und bewegen kann, ist in der Roboterszene eine Sensation.
Normalerweise stemmen Roboter nur bis zu einem Zehntel ihres Eigengewichts. Und das ist das Problem. Nicht selten wiegt ein Roboter, der 6 kg bewegen soll, satte 150 kg. Das ständige Beschleunigen und Abbremsen des Eigengewichts im Fertigungstakt kostet viel Energie. Bisweilen ist die Automatisierung für die Aufgabenstellung eindeutig überdimensioniert. Energieeffizienten Lösungen in der Produktion gehört daher die Zukunft, stellen Forscher des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart fest (siehe auch Interview).
Das Konzept für den Leichtbauarm wurde Anfang der neunziger Jahre im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen ersonnen. „Mit dem Roboterarm wollten wir eine filigrane Leichtbaustruktur entwickeln, um im Weltraum defekte Satelliten einzufangen“, erklärt Norbert Sporer, der damals das Projekt leitete. Heute ist Sporer Geschäftsführer der Firma Sensodrive in Oberpfaffenhofen, die Roboter- und Antriebskomponenten an Industriekunden verkauft.
Jedes kg mehr, das in den Orbit geschossen werden soll, kostet viel Geld. Daher musste der Manipulationsarm möglichst leicht sein. Die Forscher am DLR reduzierten das Material ständig weiter. Die Folge war, dass die Gesamtstruktur aus Carbonfasern immer elastischer wurde und zu schwingen begann. „Wie ein Plastiklineal“, sagt Sporer. Um diese Schwingungen zu messen und zu dämpfen, setzten Sporer und seine Kollegen Drehmomentsensoren an die Achsen. Diese Sensoren geben heute dem mehrachsigen Greifarm das Gefühl für seine Umgebung: Das Modell merkt, wenn es auf ein anderes Objekt trifft oder von außen berührt wird.
Als Mitarbeiter von Daimler und der Augsburger Roboterfirma Kuka im Jahr 2004 den Leichtbauarm zum ersten Mal in einem DLR-Labor sahen, waren sie begeistert. Die Autobauer sahen in dem filigranen Gerätekonzept die Möglichkeit, in der Produktion flexibler auf Stückzahlen und Bauteilvarianten zu reagieren. Wird der Roboterarm an einer anderen Stelle in der Produktionshalle gebraucht, so kann er im Prinzip hinübergetragen und relativ einfach für die neue Aufgabe eingerichtet werden.
Mit einem Listenpreis von knapp unter 100 000 Euro sind die Leichtbauarme noch deutlich teurer als vergleichbare, konventionelle Robotersysteme. „Doch der Mehrwert kommt mit der Aufgabe“, erklärt Ralf Köppe, Forschungsleiter bei Kuka. Die Leichtbauarme haben die Nachgiebigkeit und das Gefühl für die Umgebung schon eingebaut. Insgesamt hat Kuka bereits rund hundert Modelle gebaut – zu Testzwecken und für Forschungslabors. Der Einsatz in der Serienmontage bei Daimler Anfang des Jahres war eine Premiere.
Das interessanteste Anwendungsgebiet für den Leichtbauarm sieht Köppe allerdings in mittelständischen Betrieben. Hier könnte das Gerät bei Montageprozessen gewissermaßen der dritte Arm sein, der dem Menschen bei der Montage hilft. Sicherheitsaspekte sprechen bislang zwar noch gegen die direkte Interaktion von Mensch und Maschine. Auch bei Daimler arbeitet der Leichtbauarm abgeschirmt hinter Plexiglaswänden. Beim DLR in Oberpfaffenhofen tüfteln die Forscher aber schon an Steueralgorithmen, mit denen eine Zusammenarbeit funktionieren könnte.
Dass energieeffizienter Leichtbau nicht viel kosten muss, zeigt der Automatisierungsspezialist Festo. Auf der Hannover Messe präsentierten die Esslinger einen Roboterarm, der einem Elefantenrüssel ähnlich ist und in einen Greifer mit drei Fingern mündet. Die Rüsselstrukturen sind wie eine Ziehharmonika aufgebaut und können den Arm über Druckluft in beliebige Richtungen schwenken. Der Greifer wird ebenfalls über einen Faltenbalg pneumatisch auf- oder zugedrückt. „Für eine Industrieapplikation könnte der Greiferarm ohne elektronische Steuerung rund fünftausend Euro kosten“, schätzt Festo-Sprecher Paul Kho. Der Arm wiegt 1,8 kg und kann derzeit 500 g Nutzlast bewegen. „Unser Traum wäre ein Kilogramm”, sagt Kho.
Zwar kommt der Druckluftgreifer nicht an die Positioniergenauigkeiten von Bruchteilen eines Millimeters heran, was oft in der Industrie gefordert wird. Doch viele Anwendungen brauchen solche Höchstleistungen gar nicht. Bei einem Kunden sortiert ein ähnliches Greiferprinzip beispielsweise Blumenzwiebeln. Auch beim Handling von Keksen und Obst ist der flexible Greifer bereits im Testeinsatz. Den Zupack-Mechanismus haben sich die Entwickler von der Schwanzflosse eines Fischs abgeschaut. Mit minimalen Verschiebungen an der Basis lassen sich große Auslenkungen erzielen. Und die geschwungenen Finger passen sich gut an das Objekt an, ohne es zu zerdrücken.
Den Unterarm eines Menschen hat Arne Rost, Mitarbeiter am Fraunhofer IPA in Stuttgart, mit seinem Seilzugroboter Isella 2 kopiert. Ein Elektromotor wickelt dabei ein 1,5 mm starkes Seil auf oder gibt Leine und kann damit den Arm in eine Richtung auslenken. Durch die Kombination von mehreren Modulen lassen sich vier Freiheitsgrade erzielen, sprich Bewegungsrichtungen im Raum. Der Arm wiegt 8,5 kg und kann bis zu 5,5 kg tragen. Wichtig war den Forschern die Energieeffizienz. Der Elektromotor hat einen hohen Wirkungsgrad von 85 bis 90 Prozent. „Über die Welle und das hochfeste Seil aus Polyethylen wird die elektrische Energie effizient in mechanische Bewegungsenergie umgesetzt“, berichtet Rost.
Das Gerät besteht fast ausschließlich aus Bauteilen von der Stange und kostet im Prototypenstadium rund 15 000 Euro. Die nächste Generation, die im Fraunhofer IPA schon aufgebaut ist, sieht noch kompakter aus. Die Zahl der verbauten Teile wurde um ein Drittel reduziert und die Elektronik und Kabelführung bereits integriert. Ein Objekt mit einem Kilogramm Masse kann im Arbeitsraum des Roboters mit 80 W Leistungsaufnahme bewegt werden. „Das ist der Bereich, wo es mit der Energieeffizienz richtig losgeht“, sagt Rost. Hohe Kräfte treten nicht auf. Kollisionen mit einem Menschen seien daher eher ungefährlich, meint der Forscher. Als Anwendungsfelder hat Arne Rost die Automatisierungsstraßen von kleinen und mittleren Unternehmen im Visier.
Martin Schäfer Fachjournalist in Stuttgart

„Der Energieverbrauch ist heute eine zentrale Anforderung“

Nachgefragt

Herr Hägele, wo sehen Sie die großen Energie- und Stromfresser in der Automatisierung?
Die Produktionstechnik ist ein vorrangiger Kandidat für das Energiesparen. Umweltfreundliche Technik braucht energieeffiziente Komponenten und Maschinen. Zwar zählen Roboter nicht zu den typischen Energiefressern in der Produktion, verglichen mit der Metallherstellung, der Schwerindustrie oder Lackieranlagen. Dennoch sehen wir hier erhebliche Potenziale, um Energie zu sparen. Beim Roboter geht die meiste Energie über Reibungsverluste in den Getrieben und der Antriebselektronik verloren. Im Betrieb werden große Massen pulsierend bewegt. Das typische Verhältnis von Eigengewicht zu Nutzlast liegt bei einem Industrieroboter bei sieben zu eins. Das könnte besser sein.
Wieso sind viele Automatisierungslösungen überdimensioniert? Der Fertigungsingenieur schießt doch mit Kanonen auf Spatzen.
In der Vergangenheit hatte der Energieverbrauch bei Robotern und Handhabungssystemen eine eher untergeordnete Bedeutung. Ausschlaggebend waren vielmehr Genauigkeit, Geschwindigkeit und Preis. Heute ist der Energieverbrauch eine wichtige Anforderung, da Energie teurer wird. Natürlich versteht sich jeder Nutzer, Entwickler und Ausrüster von Automatisierungslösungen als Teil einer Gesellschaft, in der nachhaltiges Wirtschaften immer wichtiger wird. Die Motivation für die Entwicklung ressourcenschonender Produkte ist offensichtlich.
Wie lässt sich die Energieeffizienz verbessern?
Erstens muss die Leistung eines Roboters besser auf die Aufgabe abgestimmt werden. Viel Energie geht verloren, wenn schwere Maschinen stark beschleunigt und im Arbeitstakt wieder heftig abgebremst werden. Zweitens lassen sich die Zykluszeiten und Bahnen der Roboterarme optimieren. Es ist zum Beispiel effizienter, die Roboter im Punkt-zu-Punkt-Betrieb zu fahren als im Bahnbetrieb. Drittens könnten auch Roboter in einen energiesparenden Stand-by-Modus schalten, wenn nichts zu tun ist. Motoren und Steuerelektronik sind dann abgeschaltet, lediglich die Mess-Systeme bleiben an. Diese Option gibt es vereinzelt schon auf dem Markt. Doch meist bleibt der Roboter in der Fertigung ständig im Betriebsmodus. Schließlich könnte man die Energie zehrenden Abbremsbewegungen wieder in Strom umwandeln. Auch hier werden bereits Lösungen angeboten, die sich in der Vergangenheit kaum durchgesetzt haben.
Welche Rolle spielt der Leichtbau?
Alles, was die Masse und damit die Trägheitskräfte verringert, trägt zu effizienteren Roboter-Bewegungen bei. Die Ziele im Leichtbau sind: Geringes Gewicht, geringe Trägheit und hohe Steifigkeit der bewegten Roboterachsen. Das bedeutet nicht, dass ausschließlich leichte Kunststoffe oder Verbundwerkstoffe genutzt werden. Es geht um eine optimierte Gesamtlösung, bei der auch Metallwerkstoffe eine Rolle spielen.
Die Natur arbeitet sehr effizient. Was können wir uns da abschauen?
Die Natur zeigt uns unter anderem die Prinzipien eines effizienten Leichtbaus oder einer effizienten Bewegungserzeugung durch zeitweise Energiespeicherung. Diese Prinzipien werden in Zukunft sicher noch mehr aufgenommen. Etwa bei Leichtbauarmen oder Bewegungen im Resonanzbetrieb. Durch den Einsatz von Sensoren lassen sich hohe Kräfte nur dann erzeugen, wenn sie gebraucht werden.

Roboter mit Gefühl

Der Leichtbauarm von Kuka bewegt sich im Raum über sieben Achsen. Drehmomentsensoren messen, welche Kräfte auf die Achsen wirken. Dadurch erhält das Gerät ein Gefühl für seine Umgebung. Die Gliedmaßen bestehen aus leichten Carbonfasern, wodurch das Gewicht auf 14 kg gedrückt werden konnte. Der Roboterarm wird einfach auf eine Arbeitsplatte aufgeschraubt und lässt sich über eine Steuereinheit von der Größe eines Desktop-PC betreiben. Der Stromverbrauch liegt bei rund 100 W.

Bionik: Von der Natur abgekupfert

Über Millionen von Jahren hat die Natur Konstruktionen und Prozesse in der Tier- und Pflanzenwelt optimiert. Forscher sind immer wieder erstaunt, wie effizient und flexibel die Anpassungen der Evolution an Aufgabe und Umwelt gelungen sind. Davon wollen sie profitieren: In der Bionik schauen Ingenieure der Natur diese Konstruktionsprinzipien und Prozesse ab. Ein Klassiker ist der Lotoseffekt, der Wassertropfen von Oberflächen abperlen lässt. Aus der Leichtbaustruktur von Knochen oder Bäumen leiten Forscher CAD-Optimierungen für den Karosseriebau ab. Nanostrukturen auf Mottenaugen sind Vorbild für das Entspiegeln von Kunststoffscheiben. Klettverschlüsse orientieren sich an den Kletten aus der Pflanzenwelt.
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