Es ist Ende Mai und in weniger als einem Monat beginnt der Sommer. Doch wo ist der Frühling geblieben? Theoretisch hat er ja schon im März begonnen, aber von klassischem Frühlingswetter war bisher wenig zu spüren. Keine Sorge, ich will jetzt nicht übers Wetter reden, sondern über andere, spürbare Gemeinheiten, die der Frühling so in petto hat: Pollen! Ich persönlich bin bisher von Allergien verschont geblieben, aber wenn ich hier im Verlag sitze und unschuldig das Fenster zum Lüften öffne, fangen manche Kolleginnen und Kollegen direkt die Nieserei an. Heutzutage zuckt man angsterfüllt zusammen, wenn jemand niest, vielleicht eine Art postpandemische Belastungsstörung, aber zum Glück sind es ja „nur“ Pollen.
Aber warum ist das so? Warum leiden manche Menschen so sehr unter dem Fortpflanzungsverhalten von Pflanzen? Ich meine, Frühling, Pflanzen und Pollen gibt es doch schon viel länger als die Menschheit. Da sollte man doch eigentlich vor Niesattacken und tränenden Augen gefeit sein? Die Antwort ist wenig überraschend: Der Mensch ist mal wieder schuld. Das hat der US-amerikanische Gärtner Tom Ogren herausgefunden: In den 1940er Jahren empfahl das US-Landwirtschaftsministerium, in urbanen Gegenden vor allem männliche Bäume zu pflanzen, um weniger Abfall (Früchte) für die Stadtreinigung zu produzieren. Den Preis dafür zahlen vor allem die Stadtmenschen: Je weniger weibliche Bäume gepflanzt werden, desto weniger männliche Pollen können sie aufnehmen. Männliche Bäume filtern Schadstoffe schlechter, weil sie diese nicht in Früchten binden können, sondern über Pollen wieder an die Luft abgeben. Naja, jetzt haben wir den Salat. Den theoretischen Überbau dazu hat Ogren in einem Artikel geschaffen, in dem er den Begriff „botanischer Sexismus“ prägte.
In diesem Zusammenhang zeigt sich einmal mehr, was für ein primitives Lebewesen der Mensch immer noch ist. Selbst von der Pflanzenwelt kann er noch lernen: mangelnde Diversität ist toxisch. (hw)