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Unter Strom

Elektromobilität: das auto der zukunft braucht nachhaltige lösungen
Unter Strom

Der Weg zu in Serie hergestellten reinen Elektrofahrzeugen verläuft evolutionär. Um den Durchbruch zu schaffen, müssen die Speicherflitzer in Reichweite, Leistung, Verfügbarkeit, Ladestationen und Kosten mit konventionellen Autos konkurrieren. Dazu braucht es rechtzeitig sinnvolle Standards.

Die Symbole für den Umbruch in der Autoindustrie heißen Tesla, Fisker, BYD, Think Global oder Wheego. Die Start-ups eint ein Geschäftszweck: den Bau von Elektrofahrzeugen. „Auf sie sollte man gut achten“, empfiehlt Jim Motavallie. In seinem Blogg zum Thema Green Transportation hat der Kolumnist der New York Times acht erfolgversprechende Newcomer analysiert. „Es wäre nicht überraschend“, schreibt Motavallie, „sollte eines dieser Unternehmen einmal so groß – oder sogar größer – als General Motors werden.“

Längst nicht nur Motavallies Favoriten machen den Automobilkonzernen Druck. Was in Japan, USA und Frankreich lange Tradition hat, wird auch in Deutschland nicht mehr ignoriert. Batteriebetriebene Sportflitzer wie der Loremo oder eRuf Greenster, die die Namen ihrer Hersteller tragen, rücken auch hierzulande in die Schlagzeilen. Doch nicht nur Nischenanbieter wie die Loremo AG aus Marl und die Ruf Automobile GmbH mit Sitz im bayerischen Pfaffenhausen setzen auf die Elektromobilität. Kein etablierter Autobauer entsagt sich mehr dem elektrischen Antrieb.
Der Bedarf an nachhaltigen Zukunftskonzepten, die von fossilen Brennstoffen unabhängig machen sollen, hat Mercedes, BMW & Co. zum Umdenken gezwungen und den Innovationsdruck in Richtung Elektrifizierung des Automobils erhöht. Über Beteiligungen an Start-ups und Kooperationen mit Batterieherstellern bestellen sie jetzt das Zukunftsfeld. Noch ist es nicht so weit, dass die Platzhirsche ihr Know-how im Automobilbau mit den originellen Ideen der Markteinsteiger anreichern. Derzeit erforschen sie mit zu Hybrid-Varianten umgebauten Serienfahrzeugen die elektrische Mobilität. „Es gibt zwar Ankündigungen en masse, was wir derzeit aber konzeptionell auf der Straße sehen, ist relativ dünn“, bilanziert Martin Ott Hybridexperte beim Sindelfinger Entwicklungsdienstleister MB-Tech.
Der Weg zum rein batteriebetriebenen Öko-Auto ist deshalb so steil, weil nachhaltige Lösungen gefordert sind. Es geht um Themen wie Verfügbarkeit und Preis der Batterie, der Infrastruktur zum Befüllen, Ladestationen und der Standardisierung des elektrischen Antriebs. Schlussendlich gilt es, „den Preis aller Komponenten in eine dem Verbrennungsmotor vergleichbare Region zu bringen“, fasst Jörg Grotendorst, Leiter der Geschäftseinheit Hybrid & Electric Vehicels der Continental AG, die Kriterien zusammen. „Da sind wir bei weitem noch nicht.“ Indes rüstet sich die heimische Autozulieferbranche für den anstehenden Umbruch : „Im Hinblick auf den technologischen Fortschritt, etwa durch Elektroantriebe, planen 60 Prozent, ihr Produktportfolio partiell anzupassen“, hat der Düsseldorfer Strategieberater Management Engineers in einer Umfrage unter 200 Top-Zulieferbetrieben ermittelt. Mit gutem Grund: Der Elektroantrieb macht eine Vielzahl von Komponenten wie den mechanischen Antriebsstrang obsolet. Einziehen werden Systeme und Komponenten wie der elektrische Powertrain, die Leistungselektronik samt HV-Kabelsätzen und elektrifizierte Nebenaggregate.
Dass Eile geboten ist, weiß inzwischen auch die Politik, „Wir sind schon deshalb im richtigen Zeitfenster, da wir diese Entwicklung nicht mehr selbst entscheiden können“, kommentiert Dr. Wolf-Dieter Lukas, Leiter der Abteilung Schlüsseltechnologien im Bundesforschungsministerium. Für ihn ist klar: „Die Produkte werden nach Europa kommen, denn es gibt die Anderen!“ Jetzt stelle sich nur die Frage, ob wir daran teilnehmen oder nur noch konsumieren. Für die Teilnahme stellt die Bundesregierung im Zeitraum bis 2015 rund 700 Mio. Euro Fördergelder in Aussicht. Im Gegenzug erhofft man sich, dass im Jahr 2020 etwa eine Million Elektrofahrzeuge auf hiesigen Straßen kreuzen. Wichtiger als die absolute Zahl ist dem BMBF-Abteilungsleiter jedoch ein progressiver Verlauf der Wachstumskurve. Nach 2020 sollte der Bestand alle zwei Jahre um eine Million zulegen, hofft Lukas.
Erreichen lässt sich das hochgesteckte Ziel nur, „wenn man anschiebt“, spricht BMW-Fahrzeugarchitekt Dr. Andreas Goubeau unisono für die deutschen OEM. Sie alle beobachten mit Argusaugen, wie ihre Kundschaft die andere Nutzbarkeit der maßgeblich für Kurzstrecken konzipierten Öko-Autos annimmt. Tief sitzt die Angst, die Technologie könnte wie in den 90er-Jahren auf Ablehnung stoßen. Damals wie heute sind – neben der Batterie – „die Kundenakzeptanz und das Nutzerverhalten das größte Hemmnis“, dämpft Prof. Dr. Martin Wietschel vom Karlsruher Fraunhofer Institut ISI die Euphorie. Allerdings sehe „die Welt heute ganz anders aus“. Während Staaten Fördergelder bereitstellen, erkunden die Autoschmieden weltweit in Pilotprojekten und Flottenversuchen das Potenzial für den Serieneinsatz – und justieren nebenbei ihre Schwerpunkte neu.
Bei alldem geht es nicht um die Neuerfindung des Autos, wie manche Experten heraufbeschwören. Denn Räder, Lenkung, Sitze, Heizung und den Insassen ein Dach überm Kopf werden auch E-Mobile bieten. Das schließt aber nicht aus, dass „wir das Auto einschließlich der Energieversorgung neu denken müssen“, sagt Dr. Lukas, der vor allem auf die Entwicklung neuer Zellkonzepte der favorisierten Lithium-Ionen-Batterie und deren Produktion in großen Stückzahlen abhebt. Generell gehe es jedoch um „das etwas andere Anwendungsprofil“. Definitiv wird das strombetriebene Auto keine Alternative zu herkömmlichen Fahrzeugen mit Reichweiten von 500 und mehr Kilometern. Klein und leicht gebaut, gilt es jedoch als sinnvolle Option im städtischen Nahverkehr.
Doch wie könnte das Elektroauto der Zukunft tatsächlich aussehen? Gestartet ist die moderne automobile Elektrifizierung mit dem Parallel-Hybrid. Ein den Verbrennungsmotor unterstützender Elektromotor nimmt Bremsenergie auf und verlängert durch diese Rekuperation die Reichweite. Auch den seriellen Hybrid bewegt ein Verbrennungsmotor, der mit konstanter Drehzahl die Batterie des Elektromotors speist, der das Fahrzeug ausschließlich antreibt. Doch gleich ob Parallel-, Seriell-, Mild-, Full- oder Plug-in-Hybrid respektive Brennstoffzellenfahrzeug: Alle beinhalten Conversion Design genannte Entwicklungsansätze, die auf bestehenden Fahrzeugtypen basieren. Experten wie Prof. Stefan Gies, Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen, akzeptieren dieses Vorgehen allenfalls „als Maßnahme, um das System im Markt zu erproben“. Folglich hält es der Automobilwissenschaftler „nicht für den richtigen Weg, um das Optimum eines Elektromobils darzustellen“.
Dem sind sich auch die BMW-Ingenieure bewusst. Seit Juni proben die Bayern in Berlin den Praxistest mit 50 zu Elektrofahrzeugen umkonstruierten Minis. Im „Mini E“ hat die Rücksitzbank einer 35 kWh-Lithium-Ionen-Batterie Platz gemacht. Obgleich ohne mechanischen Antriebsstrang ist die E-Version des Trendautos 260 kg schwerer als die Variante mit Verbrennungsmotor. Die Aktion soll nicht nur herausfinden, wie die Testfahrer, allesamt Berliner Einwohner, mit dem „Tanken“ klarkommen: entweder zu Hause über eine eigens installierte Steckdose zum Nachladen, oder an öffentlichen Stromzapfsäulen. BMW geht es auch darum, „zu lernen, wie sich ein solches Batteriesystem verhält“, sieht Dr. Andreas Goubeau den Sinn. Da der umkonstruierte Mini eine Conversion sei, stellt Goubeau klar, handele es sich „nicht um die Vision des Elektromobils von BMW“.
Noch verharren die Automobilschmieden in tradierten technischen Grundkonzepten, in die sie neue Technologien integrieren. Immerhin könne man „ein Gefühl dafür entwickeln, wohin die Reise geht“, bricht MB-Tech-Entwickler Martin Ott den Zwischenschritten eine Lanze. Dieser erste Schritt müsse jedoch schnell erfolgen, wobei die Hürden hoch sind. Zahlreiche Faktoren, etwa die Achslast durch das Zusatzgewicht heutiger Batterien, begrenzen die Fahrzeugentwicklung. Künftig wird laut Ott die Anordnung der Systeme und Komponenten auch das Grobmaßkonzept und das Package beeinflussen. Auch die Silhouetten der Fahrzeuge werden sich ändern wenn erste Plattformen für den elektrischen Antrieb und für die Massenproduktion entwickelt werden.
Überhaupt wird das gesamte elektrische System deutlich höher gewichtet sein. Gut ein Viertel des Fahrzeuggewichts entfällt darauf. Beim herkömmlichen Verbrenner sind es gerade Mal 6 %. Mit dem Einzug der Lithium-Ionen-Technologie ins Auto mausert sich die Batterie zum System. Die Zahl ihrer Zellen, Größe und Leistung sowie der Energieinhalt, die bauliche Anordnung – vom Quader bis zur T- oder Y-Form – bis hin zur Elektronik für das Batteriemanagement haben zu unterschiedlichsten Varianten des Akkupacks geführt. „Das zeigt, wie groß der Einfluss dieser Komponente auf das Fahrzeugkonzept ist“, betont Continental-Manager Grotendorst, der schon deshalb die Standardisierung fordert, „damit das ganze bezahlbar wird.“ Wie weit der Zulieferer hier schon ist, zeigt, der kürzlich erhaltene Innovationspreis für die weltweit erste Serienfertigung einer Lithium-Ionen-Batterie. Mit diesem Preis würdigt das Center of Transportation & Logistics Neuer Adler e. V. (CNA) „wesentliche Meilensteine für die Elektrifizierung des Antriebsstrangs im Pkw“.
Dass es heute bereits machbar ist, rein auf den Elektroantrieb zugeschnittene Sportwagen wie auch Kleinfahrzeuge erfolgversprechend zu bauen, die Reichweiten zwischen 100 und 200 km bewältigen, zeigen Entwicklungen von Tesla und Mitsubishi. Mit ihrem schnittigen Roadster hat die Tesla Motors Inc. dem Elektroauto eine Imagekorrektur hin zur sportlichen Fahrweise verpasst. Und mit dem Modell S brechen die Amerikaner demnächst in die Limousinen-Klasse auf. Rasch das Nischendasein verlassen will Mitsubishi, das seit Jahrzehnten an Stromautos forscht. Ihr Kleinwagen I-MiEV, den die Japaner von vornherein als reines Elektroauto konzipiert haben, rollt seit dem 5. Juni als Serienmodell auf Nippons Straßen. In Europa soll der I-MiEV laut Uwe Likar, bei Mitsubishi Europe für Elektroantriebe zuständig, „Ende nächsten Jahres, spätestens aber Anfang 2011 erhältlich“ sein. Der Clou: Es gibt auch eine Version mit Benzinmotor, die auf 100 km circa 114 g CO2 ausstoßen soll. Zum Vergleich: Unter dem aktuellen japanischen Kraftwerksmix verbraucht der I-MiEV 41 g CO2. „Mit Strom aus erneuerbaren Energien tendiert dies gegen Null“, weist Likar auf den möglichen Klimaschutzeffekt hin.
Purpose Design nennen die Ingenieure dieses Prinzip, das die Entwicklung von innen nach außen betreibt. „Zugeschnitten auf den Elektroantrieb wird dies die Zukunft sein und eher den Markterfolg entscheiden, als über den Weg eines transformierten, bestehenden Autos“, ist RWTH-Forscher Stefan Gies überzeugt.
Genau das geschieht derzeit in Aachen. Im StreetScooter-Projekt der RWTH wird derzeit an einem bezahlbaren Stadtauto getüftelt. 5000 Euro soll laut Gies das vorerst als Kompakt- und Coupe-Version konzipierte E-Mobil kosten. Um den Preis zu halten, brauche es für die Batterie jedoch eines Geschäftsmodells. Damit und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h sowie Reichweiten zwischen 60 und 130 km passt der Stadtflitzer exakt ins Nutzungsprofil.

Hochleistungsakku: Schlüssel zum bezahlbaren Ökoauto

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Der Schlüssel zum bezahlbaren Elektroauto ist die Batterie. Ihre hohen Kosten bestimmen derzeit noch das Gesamtsystem: Mit 600 Euro/kWh schlagen sie kräftig zu Buche, was ein Auto leicht um mehr als 10 000 Euro verteuern kann. Da selbst steigende Spritkosten dies nicht kompensieren würden, sind sinkende Batteriekosten unabdingbar.
Doch anders als im Consumerbereich, wo Lithium-Ionen-Akkus Handys und Laptops treiben und schon nach einem bis drei Jahren den Dienst versagen, müssen die Energiespeicher im Auto sicher und langlebig sein. Zehn Jahre und länger sind veranschlagt, für die Laufleistung rechnet die Branche mit bis zu 240 000 km.
Trotz der hohen Anforderungen, die sich auch in höheren Materialpreisen niederschlagen, gehen Experten davon aus, dass sich bis 2020 die heutigen Batteriekosten halbieren lassen. 300 Euro/kWh gelten im Jahr 2015 als realistisches Ziel. Für 2020 sind 150 Euro/kWh angepeilt. Experten rechnen damit, dass sich das Stadt-Elektroauto in fünf bis zehn Jahren wirtschaftlich argumentieren lässt.
Wenn die deutschen Player nicht nur asiatische Zellen konfektionieren wollen, müssen sie auch die Chemie beherrschen und Zellen selbst produzieren. Aus dem Förderprogramm des Bundes sind 59 Mio. Euro für das Thema Massenproduktion von Batterien vorgesehen. Und um die Forschung in der Elektrochemie zu stärken, fördert das BMBF mit 20 Mio. Euro ein Konsortium aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Das Ziel: Deutschland soll in der Forschung auf diesem Gebiet wieder internationales Spitzenniveau erreichen.
Um schließlich das Fahren mit Elektroautos bezahlbar zu machen, braucht es entsprechender Business-Modelle. Gedacht wird an eine industrieübergreifende Zweitverwertung von Batterien. Ein Markt für Gebrauchtbatterien würde die Mehrfachnutzung ermöglichen und damit die Kosten senken. Wenn sich Elektroautos in der Breite durchsetzen sollen, geht es zudem nicht ohne flächendeckende Lademöglichkeiten. Erste Entwicklungen sind im Gang.

Umbruch im Gange

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Im Vorjahr waren 1452 Autos mit Elektro- und 22 330 Pkw mit Hybridantrieb zugelassen. Wie sich die elektrische Evolution auf Deutschlands Straßen fortsetzen könnte, verdeutlichen folgende Prognosen für das Jahr 2020:
  • Die Bundesregierung rechnet mit einer Million Elektroautos.
  • Das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) mit Sitz in Karlsruhe geht von einem Bestand zwischen 0,4 bis 1,8 Millionen Fahrzeugen aus.
  • 2,4 Mio. Fahrzeuge hält der Energieversorger RWE für möglich.
  • Für die Siemens AG macht Professor Dr. Gernot Spiegelberg, der im Konzern die Entwicklung für Elektroautos verantwortet, folgende Rechnung auf: Würde nur die Hälfte aller Zweitwagen, mit denen täglich im Schnitt 60 km gefahren wird, in Deutschland gegen Elektromobile ausgetauscht, könnte es im Jahr 2020 rund 5 Millionen solcher Fahrzeuge geben, in Europa schätzungsweise 20 Millionen.
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