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Attraktiver Standort am Scheideweg

Teil 6: Erfolgsverwöhntes Ungarn sucht nach Strategien
Attraktiver Standort am Scheideweg

Noch sind über 80 % der deutschen Investoren mit ihrem Engagement in Ungarn zufrieden. Doch die Rahmenbedingungen stehen zunehmend in der Kritik, zumal auch die Nachbarstaaten in der Vergangenheit mächtig aufgeholt haben.

Von unserem Redaktionsmitglied Jens-Peter Knauer jens-peter.knauer@konradin.de

Wer Ungarn als das Flaggschiff der mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten bezeichnet, tut dies nicht zu Unrecht. Die Magyaren waren ihrer Zeit, vor allem aber ihren Nachbarstaaten, schon immer ein bisschen voraus. Mittlerweile mehren sich jedoch die Anzeichen, dass Ungarn den Platz an der Sonne nicht mehr ohne weiteres für sich beanspruchen kann.
So stellt Ecostat, das Budapester Institut für Wirtschaftsanalyse und Informatik, fest, dass sich die Eckdaten der ungarischen Wirtschaft im 1. Halbjahr verschlechtert haben. Das Wachstum werde in diesem Jahr nicht über 3,4 % hinausgehen und auch 2004 maximal 4 % erreichen. Zudem nehme die Dynamik in der Industrieproduktion weiter ab. Die Statistiker rechnen mit einem Ansteigen der Inflation auf 5,5 bis 5,8 %. Wegen der breiten Privatisierungsprogramme der Nachbarstaaten müsse Ungarn eine neue Strategie ausarbeiten, um ausländische Kapitalanleger anzulocken.
Genau dieses Ziel verfolgt die Budapester Regierung, die Anfang August einen Wettbewerbsrat nach irischem Muster gegründet hat. Die grüne Insel verzeichnete schließlich in den vergangenen Jahren die höchsten Wachstumsraten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. In Ungarn sollen nun Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und von Arbeitnehmerseite nach Art eines Runden Tisches alle zwei Wochen zusammentreten, um die langfristige Wirtschaftsstrategie des Landes auszuarbeiten.
Gábor Széles, Präsident des Unternehmerverbandes Mgyosz und einer der Initiatoren des Wettbewerbsrates, hat bereits fertige Pläne in der Schublade. Perspektiven sieht er beispielsweise im Bau von Logistikzentren auf verlassenen russischen Flugplätzen. So könnte Ungarn zu einer Drehscheibe sowohl des Ost-West- wie auch des Nord-Süd-Handels gemacht werden. Eine weitere Möglichkeit sieht Széles im Ausbau der exportorientierten Wirtschaft, vor allem durch Unterstützung und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen. Dazu müssten Spielregeln geschaffen werden, auf die sich alle Vertreter einigen können.
Ausländische Investoren, die sich bereits in Ungarn niedergelassen haben, verfolgen diese Entwicklung sehr genau. So hat auch die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer (DUIHK) in ihrem aktuellen Konjunkturbericht festgestellt, dass die Rahmenbedingungen nicht mehr so attraktiv sind wie noch vor wenigen Jahren. Viele der rund 1000 Mitgliedsunternehmen der Kammer üben inzwischen Kritik am Standort Ungarn. Probleme mit Behörden und die enormen Lohnsteigerungen der vergangenen beiden Jahre (nominell 19 %, inflationsbereinigt 12 % seit 2001) stehen auf der Mängelliste ganz oben.
Trotz aller Kritik sind mehr als 80 % der befragten Unternehmen mit ihrem Engagement zufrieden und würden dieses genau so wiederholen. So baut die FAG Kugelfischer AG, Schweinfurt, ihre Aktivitäten am Standort Debrecen weiter aus. Seit Jahresbeginn fließen 1,4 Mrd. Forint (rund 5,3 Mio. Euro) in die Modernisierung der Fertigungsanlagen von Kegelrollenlagern.
János Erni sieht keinen Grund, von Investitionen in Ungarn abzusehen: „Die Kostenverhältnisse in Ungarn sind immer noch sehr attraktiv“, erklärt der Leiter des Frankfurter Büros der ungarischen Handels- und Investitionsfördergesellschaft ITDH. Der Durchschnittsbruttolohn liegt bei 476 Euro – nur knapp über dem in Tschechien und deutlich unter dem in Polen. Erni weiter: „Auch die politische und wirtschaftliche Stabilität, die Rechtssicherheit sowie die günstige geographische Lage haben wesentlich Anteil daran, dass sich Ungarn zunehmend als mittel-osteuropäische Drehscheibe etabliert.“
Der siebte und letzte Teil der Serie erscheint in Ausgabe 44. Thema: Malta und Zypern
Wettbewerbsrat nach irischem Muster

Ungarn
  • Offizieller Name: Magyar Köztársaság (Republik Ungarn)
  • Fläche: 93 036 km²
  • Bevölkerung: 10,2 Millionen Einwohner, davon rund 94 % Ungarn
  • Währung: 1 Forint = 100 Filler
  • Hauptstadt: Budapest (rund 1,8 Millionen Einwohner)
  • Wirtschaftswachstum: 3,3 % (2002)
  • Arbeitslosigkeit: 5,9 % (1. Halbjahr 2003)
  • Ausfuhrgüter: Maschinen und Ausrüstungen, Telekommunikationsgeräte, Nahrungsmittel, Energieträger
  • Einfuhrgüter: Maschinen, Rohstoffe, Halbfertigwaren, chemische Erzeugnisse
  • Bfai-Experte Siegfried Breuer: „Der Konjunkturhimmel in Ungarn hat sich im bisherigen Verlauf des Jahres 2003 eingetrübt. Im 1. Quartal wurde nur noch ein Wachstum von 2,7 % gemessen, und für das Gesamtjahr sind nicht mehr als 3 % zu erwarten. Zu einem Wachstumsschub wird es auch 2004 voraussichtlich nicht kommen, die Prognosen liegen kaum höher als für dieses Jahr. Ausländische Investoren scheinen Ungarn zur Zeit zu meiden, die Direktinvestitionen sind während der ersten fünf Monate auf einen Bruchteil des Vorjahres zurückgefallen. Zu der offensichtlichen Verschlechterung des Investitionsklimas haben eine zu rasche Steigerung der Lohnkosten, unklare Förderbedingungen und eine Wirtschaftspolitik ohne erkennbare Zielsetzung mit Sicherheit beigetragen. Trotzdem bleibt das Land für deutsche Unternehmen interessant. Im Bereich der Bauwirtschaft sorgt ein umfangreiches Programm zum Bau von Autobahnen für attraktive Beteiligungschancen, in der Wasser- und Abfallwirtschaft bedingt der EU-Beitritt während der nächsten Jahre hohe Investitionen, und eine letzte Privatisierungswelle ist im 2. Halbjahr 2003 angelaufen (unter anderem Banken, Stahlwerk und Flughafen). Die Verschiebung der EU-Grenze nach Osten ab Mai 2004 erhöht zudem Ungarns Attraktivität als Logistikstandort.
  • Publikationen (Auswahl):
  • Wirtschaftstrends zur Jahresmitte 2003 – Ungarn, 46 S., 15 Euro, Bestell-Nr. 9760
  • Erfolgreich verhandeln in Ungarn, 2003, 56 S., 25 Euro, Bestell-Nr. 9638
  • Handelsvertretersuche in Ungarn, 2002, 46 S., 23 Euro, Bestell-Nr. 9136
  • Ansprechpartnerin: Regina Wippler, Tel. (0221) 2057-416, Fax -262, E-Mail: wippler@bfai.de
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