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Auf dem Weg zur Null-Fehler-Produktion

Neuronale Netze beim Kunststoffspritzgießen
Auf dem Weg zur Null-Fehler-Produktion

Der fehlerfreien Produktion beim Kunststoffspritzgießen ist die PKT GmbH einen großen Schritt näher gekommen. Der Mittelständler testet derzeit ein auf neuronalen Netzen basierendes System, das die Qualität automatisch überwacht und nachführt.

Dipl.-Ing. (FH) Michaela Neuner ist Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart

Null Fehler in der Produktion erreicht man nicht mit einer Stichprobenkontrolle“, stellt Bernd Nagel kategorisch fest. Doch genau darauf musste sich der Konstruktionsleiter der PKT Präzisions-Kunststoff-Teile GmbH in Tiefenbronn bislang verlassen. PKT stellt jährlich rund 300 Millionen technische Spritzgussteile aus Kunststoff her, deren Gewicht von 0,002 bis 30 g reicht – Präzisionsteile für die Feinwerk-, Elektro- oder Medizintechnik, bei denen es oft auf jeden Mikrometer ankommt.
Ist die Produktion eines Teiles angelaufen, führt der zuständige Werker in festen Intervallen eine attributive Stichprobenkontrolle durch: Anhand eines Prüfplans kontrolliert er die Merkmale, die sich optisch erfassen lassen, etwa die Gratbildung, die vollständige Füllung oder Einfallstellen. Dazu kommt eine messende Prüfung, deren Intervalle der Kunde bestimmt. Stellt der Werker dabei Fehler fest, ermittelt er die Ursache und regelt gegebenenfalls die Maschine nach. „Alle seit der letzten Stichprobenkontrolle produzierten Teile müssen erneut geprüft und in den meisten Fällen verworfen werden“, berichtet Nagel.
Dieses aufwändige Kontrollsystem funktioniert zwar gut und die Prozesse laufen so stabil, dass PKT nach eigenen Angaben im Jahr nicht mehr als rund 1 % Ausschuss produziert. Doch das ist dem Konstruktions-Chef immer noch zu viel. Ihm wäre es lieber, den Fertigungsprozess bei jedem einzelnen Teil von Anfang bis Ende unter Kontrolle zu haben. Zumal mit der Sichtprüfung Eigenschaften wie Maßhaltigkeit und Festigkeit nicht zu erkennen sind und auch das Nachregeln ein komplexes Unterfangen ist.
Generator trainiert automatisch die neuronalen Netze
Der fehlerfreien Produktion ist PKT nun einen großen Schritt näher gekommen. Das mittelständische Unternehmen testet seit kurzem ein System, das die Qualität automatisch überwacht und nachführt. Es ist das Ergebnis der beiden Verbundforschungsprojekte Nepres und SGQtech, an denen neben PKT elf weitere Unternehmen sowie drei Stuttgarter Forschungsinstitute beteiligt sind (siehe Kasten). Fachlicher Leiter beider Projekte ist Ernst Schmidberger vom Fraunhofer IPA. Er und seine Kollegen untersuchten verschiedene mathematische Verfahren und Methoden auf ihre Eignung und entschieden sich schließlich für die adaptive Lösung. „Unter diesen Methoden sind neuronale Netze mit die leistungsfähigsten, auch bedingt durch ihre Lerneigenschaften“, erklärt Schmidberger. Sie bilden die Grundlage für das Nepres-System, das sich modular an unterschiedliche sensorisch ausgerüstete Prozesse anpassen lässt.
Das Nepres-System berechnet unterschiedliche Kenngrößen aus den Signalen, die von den in der Maschine angebrachten Sensoren stammen. Welche davon überwacht werden sollen, kann der Anwender frei wählen. Er legt auch die Toleranzen und Eingriffsgrenzen fest. Zugeschnitten auf den jeweiligen Prozess konfiguriert und trainiert ein zum System gehörender Netzgenerator automatisch die neuronalen Netze für die Überwachung und Regelung. Darüber hinaus gibt es mehrere Möglichkeiten, die momentanen Qualitätswerte und Prozesszustände zu visualisieren und zu dokumentieren – unterstützt durch Hilfstools, die beispielsweise überwachen, ob die Signale im erlaubten Bereich liegen. „Hier ist ein geschlossenes System entstanden, das auch der Anwender nach einer gewissen Einarbeitungszeit beherrschen kann“, betont Schmidberger. Erfahrungswerte zur Einarbeitung liegen allerdings noch nicht vor. Wissenschaftler der beteiligten Institute sind derzeit dabei, die Systembetreuer in den Unternehmen zu schulen.
Das System besteht aus Funktionsmodulen, aus denen sich entsprechend der Anwendung die Programme aufbauen:
– Datenerfassung,
– Kenngrößenbildung,
– Verarbeitungsblöcke mit den Netzen und
– Ansteuerung der Maschine.
Letztere läßt sich mit einem Programmeditor konfigurieren. Unterschiedliche Hilfsfunktionen und Visualisierungstools ergänzen die Module.
Für jeden Prozess müssen die Signaleingänge, Funktionsblöcke und Verarbeitungsvorschriften konfiguriert werden. Dazu kommen die Erfahrungen des Spritzgießers, der bei Qualitätsabweichungen weiß, welche Größen wichtig sind, um den Prozess nachzuführen. Diese Informationen fließen in den Versuchsplan zur Herstellung der Musterteile ein und bestimmen, welche Parameter zu regeln sind. Danach werden die fertigen Versuchsteile geprüft. Anhand der Prozesskenngrößen und Prüfdaten trainieren sich anschließend die neuronalen Netze selbst. Sie stellen die Verknüpfungen her zwischen den Sensorwerten aus dem Prozess, der Qualität der produzierten Teile und eventuellen Änderungen der Prozesseinstellung. Das so adaptierte System prognostiziert nun zyklussynchron die Qualität der Teile. Liegt sie nicht mehr innerhalb der vorgegebenen Werte, regelt es automatisch nach und sortiert bei Überschreiten der Toleranzen die fehlerhaften Teile aus.
PKT ist eine der ersten Firmen aus dem Verbund, die das Nepres-System einsetzen. Es ist an die Spritzgießmaschine vom Typ Arburg 320 S angeschlossen, die rund um die Uhr Innengehäuse für eine Digitaluhr produziert. Fazit nach vier Wochen Dauertest: „Wir hatten in dieser Zeit keinen Ausschuss“, freut sich Bernd Nagel. Für „phänomenal“ hält er es, dass das System beispielsweise die Gratbildung nachregelt, ohne andere Qualitäten zu verschlechtern.
Das Uhreninnengehäuse aus ABS-Kunststoff ist mit rund 38 mm x 38 mm für PKT-Verhältnisse ein eher großes Teil. Nach den positiven Erfahrungen hier wollen die Tiefenbronner das System nun als nächstes zur Produktion eines sehr fein strukturierten Schrittmotorgehäuses aus PBT mit einem Durchmesser von rund 28 mm einsetzen. Damit ist hardwareseitig momentan allerdings die unterste Grenze erreicht. Bei der Produktion kleinerer Teile würde Bernd Nagel das System zwar besonders gern einsetzen, weil hier die hohen Stückzahlen aus der Maschine laufen – nicht selten mehr als eine Million Teile pro Woche. Doch bislang hapert es an der Sensorik: Druck- und Temperaturfühler sind noch zu groß, um sie in Werkzeuge für filigrane Kleinteile einbauen zu können.
Indirekt nützt Nepres jedoch auch hier – durch den Erfahrungsgewinn der Mitarbeiter: „Gerade bei der systematischen Versuchsplandurchführung, wenn in zahlreichen Versuchen die Parameter einzeln und in Kombinationen variiert werden, können die Werker die Zusammenhänge und Auswirkungen der Änderungen auf die Qualität der Teile eindeutig verfolgen“, sagt Bernd Nagel. Bei einem normalen Bemusterungsvorgang sei das in dieser Tiefe nicht der Fall.
Ein weiterer Vorteil ist die lückenlose Dokumentation der Fertigung, ganz im Sinne der ISO 9000. Die Produktion wird von Schuss zu Schuss überwacht und wesentliche Parameter aufgezeichnet. „So etwas wird mit Sicherheit von den Kunden honoriert“, steht für den Konstruktionsleiter fest. „Einer unserer Kunden hat bereits angefragt, ob wir es nicht bei seinen Teilen einsetzen können, die für die Automobilindustrie bestimmt sind.“
Verbundprojekte: Nepres und SGQtech
Das System zur Qualitätsüberwachung und -regelung von Spritzgießmaschinen ist das Ergebnis der Projekte
Nepres – „Inline-Qualitätsregelung zur produkt- und prozessspezifischen Überwachung beim Spritzgießen von Thermoplastprodukten“ (1995 bis 1997) und
SGQtech -„Sicherung der Qualität technischer Spritzgießprodukte durch moderne Methoden der Informationsverarbeitung in der betrieblichen Praxis“ (1997 bis 2000).
Beide Projekte wurden vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium gefördert. Bearbeitet haben sie drei Stuttgarter Institute: das IKP und das IKT der Universität Stuttgart sowie das Fraunhofer-Institut IPA. Außerdem waren zwölf Unternehmen beteiligt.
Nach Abschluß des Projekts SGQtech am 30. September 2000 soll die Technologie zur Qualitätsüberwachung und -regelung anwendungsorientiert weiterentwickelt und verstärkt in die Praxis transferiert werden.
Kontakt: Dipl.-Ing. Ernst Schmidberger, Fraunhofer-IPA,Tel. 0711/970-1813E-Mail: ejs@ipa.fhg.de
Neuronale Netze
– orientieren sich an ihrem natürlichen Vorbild, dem Gehirn. Dort sind die Nervenzellen, die Neuronen, in einem dichten Netz miteinander verbunden. Wird etwas gelernt, werden die Verbindungen zwischen Zellen verändert. Dadurch können Aufgaben bewältigt und Lösungswege verallgemeinert werden – ein Vorgang, der sich per Computer simulieren lässt;
– sind lernfähig, passen sich im Laufe des Trainings ihrer Aufgabenstellung an und können diese somit effektiv lösen.
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