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Im Kreise ihrer Lieben

Automobilindustrie: Die innigen Beziehungen zwischen Herstellern und Lieferanten
Im Kreise ihrer Lieben

Nirgendwo ist es so eng, wie im Vaterland des Autos: das Geflecht zwischen Herstellern, ihren Zulieferern und die Verbandelungen jeweils untereinander. Ein Mit- und Gegeneinander wie bei einer großen Familie.

Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Baumgärtner

Für Martin Heidenreich herrschen in Baden-Württemberg italienische Verhältnisse. In einem Vergleich zwischen der Industrieregion Emilia Romagna und dem Südwesten Deutschlands fand der Soziologe jede Menge Ähnlichkeiten: Beide Regionen seien „klassische Beispiele für ein Produktionsmodell, das nicht auf vernetzten kleineren Unternehmen beruht“. Und beide Regionen gehören zu den erfolgreichen im internationalen Vergleich. Doch zeigt sich Baden-Württemberg vor allem von den großen Automobilherstellern – die Paten des Wirtschaftens dort – geprägt. Und die befinden sich in einem rasanten Umbruch. Globalisierung und die Verlagerung von Aufgaben entlang der Wertschöpfungskette krempeln die Ökonomie um. Ob die familiären Strukturen der industriellen Verflechtung sich dafür als nützlich, oder eher als hinderlich erweisen, scheint noch offen. Nach einer Untersuchung des Instituts für Medienforschung und Urbanistik (IMU) herrscht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den großen Zulieferern auf der einen sowie Klein- und Mittelbetrieben auf der anderen Seite. Während die Großen die Globalisierung offensiv angehen, verbreitet sich bei den Kleinen vielfach Rat- und Hilflosigkeit, so die IMU-Autoren noch vor zwei Jahren.
Doch jetzt macht sich Kampfeslust breit: Mittelständler finden in virtuellen Fabriken und Arbeitskreisen zu neuen Formen der Zusammenarbeit Und die Innovationskraft der Schwaben und Badener ist ungebrochen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass man im Südwesten Erfahrung damit hat, aus Reibung Energie zu gewinnen: Seit Anbeginn kultivieren die beiden Volksgruppen ihre Rivalität mit einem feinen Gespür dafür, den Unterschied im Gemeinsamen nicht vergessen zu machen. So fuhren die Württemberger stets einen Daimler. Schließlich war Gottlieb Daimler einer der Ihren. Bei den Badenern stand hingegen immer ein Benz in der Garage. Denn Carl Benz stammt aus dem badischen Teil des Bindestrich-Landes.
Und im Umgang mit der Verwandtschaft ist eh Rauhbeinigkeit beliebt: Die „bucklige“ wird despektierlich der angeheiratete Teil der Kognation genannt. Aber im Ernstfall hat man sich noch immer zusammengerauft. Selbst die Badener und die Schwaben.
Virtuelle Fabrik
Bildet Cluster! Das hatte Roland Berger mittelständischen Zulieferbetrieben als Überlebensstrategie empfohlen. In Oberschwaben, der Region mit der größen Dichte an Engineering-Unternehmen in Deutschland, machten 19 Ingenieurbüros im März vergangenen Jahres ernst mit der Theorie und gründeten die Virtuelle Fabrik Baden-Württemberg e.V. Gründungsvater Prof. Rolf Bausinger, IHK-Chef der Region, will das Netzwerk als Systempartner der Automobilindustrie etablieren. Zwischenzeitlich zählen auch produzierende Betriebe zum Bund der nun 22.
Entwicklungsverbund
Wie eng Zulieferer und Hersteller zwischenzeitlich auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind, zeigt ein Vergleich der Entwicklungsdaten eines Autos von einst und jetzt:
NSU Ro 80, Auto des Jahres 1968;
Entwicklungszeit: 6 Jahre
Antriebsstrang: 40 Mitarbeiter
Gesamtfahrzeug: 40 Mitarbeiter
Beteiligte Unternehmen: überwiegend interne Entwicklung
Charakteristika: Wankelmotor, Keilform
Daimler-Chrysler S-Klasse:
Entwicklungszeit: 29 Monate
Anzahl der Zulieferer insg.: 300
Anzahl der Entwicklungspartner beim Start: 50
Anzahl der Innovationen: 30
Angemeldete Patente: 340
Streitpunkt E-Procurement
Wichtigster Streitpunkt zwischen Autmobilherstellern und Zulieferern sind derzeit die Internet-Marktplätze. Während die Hersteller für beide Seiten Einsparungen vor allem bei den Prozesskosten sehen, befürchten die Zulieferer Preisdrückerei. Das vor allem bei den unbeliebten Auktionen. Weiterhin beklagen die Lieferanten, dass keine Standards bestünden. Derzeit testen Unternehmen des AKZ, das Institut für Mittelstandsforschung und zwei Lehrstühle an der Uni Mannheim den Nutzen solcher Marktplätze. Das Projekt wird von der Stiftung Indus-trieforschung unterstützt. Ob die Ergebnisse der Studie Auswirkungen haben werden, bleibt fraglich. Denn bei fast allen Automobilherstellern gehört das E-Procurement zum Alltag.
Automobilbau prägt Wirtschaftsstruktur
Rund jeder 14. Arbeitsplatz im Südwesten wird mittelbar oder unmittelbar vom Automobilbau zur Verfügung gestellt. Das hat das Statistische Landesamt Baden-Württemberg ermittelt. Wachsende Bedeutung käme dabei der Zulieferindustrie zu. Die Zahl der insgesamt im Land als Zulieferer für die Automobilherstellung tätigen Personen hat sich jedenfalls im Zeitraum 1993 bis 1998 von 84000 auf 142000 erhöht. Laut Statistik wächst vor allem der Dienstleistungssektor. Speziell Ingenieur- und Beratungsdienstleistungen sind im Südwesten gefragt.
Die Familie des AKZ
Der AKZ (Ausrüster, Komponenten, Zulieferer) ist eine Gruppe unabhängiger mittelständischer Familienunternehmen aus Baden-Württemberg. Der AKZ wurde 1972 gegründet. Derzeit zählen 22 Unternehmen zu dem Kreis, die einen addierten Gesamtumsatz von rund 250 Mio. Euro erwirtschaften und knapp 2000 Mitarbeiter beschäftigen. Der eher lose Verbund dient dem Meinungsaustausch ebenso, wie auch gemeinsame Messe-auftritte. Auf der Hannover Messe ist der AKZ-Stand eine feste Größe.
Behr: Gutes Klima
Obwohl die heutigen Klimaanlagen in den Autos als durchaus komfortabel gelten, konnten die Ingenieure der Behr GmbH & Co., Stuttgart, noch eines drauf setzen. Ihre physiologisch geregelte Anlage steuert nicht nur, wie sonst üblich, die Temperatur. Vielmehr soll sie die sogenannte „gefühlte“ Temperatur mit einbeziehen. Und dazu misst ein Multi-Sensor-System Luftfeuchtigkeit, Lufttemperatur, Luftgeschwindigkeit und auch die Sonneneinstrahlung. Während der Fahrt werden diese Größen kontinuierlich überwacht und dem physiologisch idealen Wert angeglichen.
Rampf: Alles dicht
Firmengründer Rudolf Rampf leitet ein typisch schwäbisches Familienunternehmen. Und am liebsten wirken schwäbische Zulieferer im Stillen – selbst wenn sie, wie Rampf, durchaus etwas zu erzählen hätten. So ist das Unternehmen am Fuße der schwäbischen Alb mit seinem Produkt- und Dienstleistungsspektrum nahezu konkurrenzlos. Eine Spezialität der Rampf Giessharze GmbH & Co., Grafenberg, sind 2K-Pur-Dichtungsschäume. Damit werden beispielsweise Autotüren abgedichtet. Der Schaum schützt die elektrischen oder elektronischen Komponenten im Türmodul vor Staub, Feuchtigkeit und Wasser.
Seit Rampf das Verfahren erstmals vor zwei Jahren in der Automobilindustrie einsetzte, gewinnt es immer mehr Freunde. Denn das automatisierte Auftragen ist gegenüber anderen Verfahren offensichtlich effizienter.
Würth: Wissen für Werkstätten
Eigentlich kennt man ihn als Schrauben-Würth. Doch im Firmenimperium des erfolgreichen Unternehmers hat jüngst WOW von sich reden gemacht. Die drei Buchstaben stehen für: Würth Online World, ein Online-Fahrzeug-Diagnose- und Informationssystem, das mit dem Innovationspreis des Bundeswirtschaftsministeriums ausgezeichnet wurde. Das System hilft Kfz-Werkstätten herstellerübergreifend bei der Pannendiagnose. Das Besondere an dieser Software ist die parallele Schnittstelle zum Steuergerät. Anders als bei herkömmlichen Systemen werden auch die Funktionen des fahrzeugeigenen Computers simuliert. Über eine Interface-Box lassen sich die für die datenintensive Parallel- Diagnose notwendigen Programme der einzelnen Fahrzeugfabrikate und Typen online abrufen.
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