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Mit Advokaten und High Tech keine leichte Beute für Produktpiraten

Plagiate: Hersteller schützen sich mit rechtlichen und technischen Mitteln
Mit Advokaten und High Tech keine leichte Beute für Produktpiraten

Unternehmen müssen alle rechtlichen und technischen Register ziehen, um sich vor Produktpiraten zu schützen. Plagiate schädigen große und kleine Hersteller; keiner ist vor Ideen- und Markendieben sicher. Neue Gesetze und technische Tricks sollen helfen.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Ein Krimi in Dubai: Detektive haben das Fälscherlager ausfindig gemacht; die Großrazzia der örtlichen Polizei mit Vertretern der Hersteller-Niederlassung hat Erfolg. Sie stellen heiße Ware sicher: gefälschte Wälzlager mit dem Firmenaufdruck des deutschen Herstellers FAG. Der Nennwert beträgt über eine Million Euro. Der Ladenbesitzer landet hinter Gittern, die Wälzlager auf dem Schrott.
Ein spektakulärer Fall, aber kein Einzelfall, wie Robert Schullan weiß, Vorstandschef der FAG Kugelfischer AG in Schweinfurt und Geschäftsleitungs-Mitglied der Ina-Gruppe. Der Lagerhersteller passt perfekt ins Raster der Produktpiraten: ein reifes Produkt, hohe Stückzahlen, ein verzweigtes Vertriebsnetz, der Weltmarkt. Der Schaden ist kaum zu ermitteln. „Die Grauzone ist extrem groß, zumal sich der Image-Schaden schwer bewerten lässt“, sagt der FAG-Chef. Häufig erfährt das Unternehmen erst von Fälschungen, wenn Reklamationen eingehen. Dann muss der Konzern mühsam nachweisen, dass es nicht das eigene Produkt war, das den Schaden verursacht hat. „Eigentlich ist unser gesamtes Programm betroffen“, erläutert Schullan das Ausmaß. Es seien vor allem Rillenkugellager und Kegelrollenlager, also Massenprodukte, wie sie viele herstellen können. Neuerdings stößt das Unternehmen zudem auf gefälschte komplexere Lager für Werkzeugmaschinen.
Nicht nur Großkonzerne leiden unter Produktpiraterie. Laut einer Umfrage des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) e.V. in Frankfurt/M. vom vergangenen Herbst wird jedes zweite Unternehmen der Branche durch illegale Nachbauten geschädigt. Sie müssen Umsatzausfälle sowie entgangene Gewinne verkraften und indirekt den Verlust an Renomée, wenn das minderwertige Plagiat frühzeitig den Geist aufgibt. Von jedem zweiten befragten Unternehmen wurde China als Ursprungsland der Fälschung genannt. Insgesamt drei Viertel der Nachbauten kommen aus Asien.
Plagiate sind ein globales Phänomen. Rund 5 % bis 8 % der gehandelten Waren sind Produkt- oder Markenfälschungen, schätzt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Es gibt offenbar wenig, was nicht illegal kopiert wird. Alljährlich zeichnet die bekannte Aktion Plagiarius besonders dreiste Fälschungen aus. Unter den Preisträgern findet sich alles: vom Alu-Profil über den Hydraulikzylinder bis zum Trennschleifer. Kaum eine Branche bleibt verschont: Der Fachverband Werkzeugindustrie (FWI) beispielsweise warnt seit geraumer Zeit vor Billigprodukten, die Qualitätswerkzeugen zum Verwechseln ähnlich sehen. Mancher Hammer und Meißel zweifelhafter Herkunft fliegt da dem Werker schon beim ersten Einsatz buchstäblich um die Ohren. Rund 3500 Arbeitsunfälle in Deutschland – allein im gewerblichen Bereich – gehen laut FWI pro Jahr auf Plagiate zurück.
Um gegen Ideen- und Markendiebe gewappnet zu sein, fehlt es Mittelständlern oft an den nötigen Schutzrechten. „Ganz wichtig ist, dass die Hersteller ihre Produkte schützen lassen“, betont Lennart Röer vom Aktionskreis Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie e.V. (APM) in Berlin. Denn mancher Mittelständler scheut den Aufwand der Eintragung. Egal ob Geschmacksmuster, Gebrauchsmuster, Patent oder Marke: Erst wer sein Know-how schwarz auf weiß verbrieft hat, kann international wirksam gegen die Produkt- und Markendiebe vorgehen. Denn in den meisten Ländern beschränkt sich die rechtliche Handhabe auf gewerbliche Schutzrechte.
Im Aktionskreis APM haben sich Wirtschaftsverbände und betroffene Unternehmen zusammengeschlossen, um gegen das Übel vorzugehen. Gerade konkurrierende Unternehmen haben häufig Erfolg, wenn sie gemeinsam gegen Piraten kämpfen. Denn Fälscher sind nicht markentreu, sie kopieren meist auch das Konkurrenzprodukt. Die Piraten gehen beim Fälschen je nach Produkteigenschaften unterschiedlich vor:
  • Die Marke oder der Handelsname wird nachgeahmt.
  • Die nicht eingetragene Aufmachung, der so genannte Trade Dress, wird nachempfunden.
  • Patente, Gebrauchs- oder Geschmacksmuster werden verletzt.
  • Das Urheberrecht wird verletzt, zum Beispiel Software kopiert.
Bei Investitionsgütern erfährt der Hersteller in jedem zweiten Fall auf einer Messe davon, dass sein Erfolgsprodukt nachgebaut wurde, wie die VDMA-Umfrage ergeben hat. Der Verband fordert deshalb Sonderregeln für Messen und Ausstellungen. Stets müsse ein Gericht erreichbar sein, das die Beschlagnahme anordnet. In diesen Tagen haben EU-Kommission und Europäisches Parlament einer neuen Richtlinie über die Durchsetzung der Rechte an geistigem und gewerblichem Eigentum zugestimmt, der so genannten Nachahmungsrichtlinie. Sie soll die Handhabe gegen Produktpiraten in der EU vereinheitlichen. Noch immer sind die Rechtsmittel in den Mitgliedsländern unterschiedlich, ganz zu Schweigen von den Regeln in manchen Beitrittsländern. So sehr der VDMA die Richtlinie begrüßt, so sehr kritisierte er das Fehlen einer Extra-Regel für Ausstellungen. „Auf Messen hat Produktpiraterie besonders negative Auswirkungen“, erläutert Heiko J. Beplat aus der Rechtsabteilung des VDMA.
Zu Fürchten haben Nachahmer meist wenig. Der Geschädigte kann bei den europäischen Zollbehörden die so genannte Grenzbeschlagnahme veranlassen, um die Einfuhr von Piraterieware zu verhindern. Das Plagiatopfer kann zudem – mit einem Rechtsanwalt und guten Beweisen im Gepäck – Unterlassung und im Idealfall Schadensersatz erwirken. Zu einem Prozess kommt es laut VDMA-Studie nur in einem guten Drittel der Fälle. Meist einigen sich der Geschädigte und der Pirat außergerichtlich.
Also bleibt einem Betrieb meist nur der Rat, auf der Hut zu sein. Der Käufer wiederum soll sich tunlichst von zweifelhaften Quellen fernhalten. Das europäische Dach der Industrieverbände Orgalime, in dem aus Deutschland VDMA, ZVEI und WSM Mitglied sind, hat einen Leitfaden zum Thema veröffentlicht. Der erste und wichtigste Schritt sei, zu erkennen, dass das Produkt kopiert wird (weiter nächste Seite):
  • Marktanteile gehen plötzlich zurück, vor allem im Exportgeschäft.
  • Kundenbeschwerden nehmen zu.
  • Neue Marktteilnehmer sind verstärkt aktiv, vor allem in Asien.
  • Verbände, Wettbewerber, Händler und Partner vor Ort geben Hinweise.
Doch auch unter den Händlern gibt es schwarze Schafe, hat FAG-Chef Schullan schmerzlich erfahren. Sein Unternehmen zieht alle Register. „Wir schützen uns aktiv durch Werbung, Aufklärung, Schulungen und regelmäßige Überprüfung unserer autorisierten Händler“, zählt der Manager auf und ergänzt: „Das geschieht mit Hilfe der örtlichen Behörden.“
Die Erfolge sind bisweilen begrenzt. „Sie machen eine Fälscherwerkstatt dicht und zehn Meter weiter geht es von neuem los“, berichtet Schullan. Er betont, dass nicht zuletzt die Staatsorgane über Erfolg oder Misserfolg entscheiden: „Das Fälschungsproblem ist nur dann zu lösen, wenn die Behörden in den Ländern, wo gefälscht und kopiert wird, es ernst meinen mit ihrem Bekenntnis, Produktpiraterie zu bekämpfen.“ Also versucht das Unternehmen auch, Produkte und Verpackungen so zu kennzeichnen, dass Fälschungen sofort erkannt werden.
Denn wenn es um die Sicherheit geht, müssen Hersteller vorbeugen. Gilt es doch nachweisen zu können, dass es nicht das eigene Produkt war, das den Ausfall oder den Unfall verursacht hat. So können Hologramme, DNA-Partikel oder Farbmarkierungen ein Originalprodukt fälschungssicher machen wie einen Geldschein.
Kirsten Stern von der Tecmen Antriebstechnik GmbH aus Illingen beispielsweise ist schon seit Jahren in der Fälscherhochburg China aktiv. Die Mittelständlerin ist noch nie einem Nachbau ihrer Kupplungslösungen begegnet. Trotzdem setzt sie bei Ersatzteilen High Tech zur Kennzeichnung ein. „Gerade bei den Verschleißteilen, zum Beispiel den Elastomeren, schützen wir uns vor Nachbauten“, betont sie. Wie? Das will sie nicht verraten.
Große Grauzone erschwert genaue Schätzungen
Konkurrenten kooperieren bei der Jagd nach Fälschern

Kongress
Der Aktionskreis Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie e.V. (APM) veranstaltet am 27. April in Berlin einen Kongress zum Thema Sicherheitstechniken. Viele Fachreferenten und Anbieter von innovativen Kennzeichnungstechniken werden vertreten sein. Ein neues Verfahren namens Holospot präsentiert zum Beispiel Tesa Scribos aus Heilbronn: Ein 1 mm² großes, selbstklebendes Datenfeld speichert dabei alle wichtigen Produkt-Informationen.

Infos im Web
Der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie e.V. (APM), 1997 von DIHK, BDI, dem Markenverband sowie von 15 Unternehmen gegründet
Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz der Zollverwaltung
www.gacg.org
Global-Anti-Counterfeiting Group (GACG), Dachorganisation der Anti-Piraterie-Verbände in Paris
ICC Commercial Crime Services (CCS) mit dem Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB), eine Abteilung der Internationalen Handelskammer
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