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Produkthaftungsgesetzsteht nicht allein

Teil 1: Grundlagen der Produkthaftung für Zulieferer
Produkthaftungsgesetzsteht nicht allein

Die Produkthaftung hat in Deutschland rapide an Bedeutung gewonnen. Grundzüge des Produkthaftungsrechts gehören in der Industrie – speziell für Zulieferunternehmen – zum essentiellen Führungswissen.

Zu 262,5 Millionen Dollar Schadensersatz, Schmerzensgeld und Geldbuße wurde im Oktober 1997 die Chrysler Corporation von einem Geschworenen-Gericht in South Carolina wegen eines Produktfehlers seiner Mini-Van-Reihe verurteilt (FAZ v. 10.10.1997).

Zwar sind diese exorbitanten Schadensersatzbeträge eine Eigenart des amerikanischen Rechtssystems. Gleichwohl haben auch in Deutschland die produkthaftungsrechtlichen Auseinandersetzungen zugenommen.
Um zu verstehen, welche Folgen diese Entwicklung für Hersteller und Zulieferer hat, ist es hilfreich, die Grundprinzipien der Produkthaftung zu kennen:
Für das Geschäftsleben ist wichtig zu wissen, daß dort das viel zitierte ProdHaftG nur bedingt gilt: Schäden, die ein fehlerhaftes Produkt an einer gewerblich genutzten Sache verursacht, werden nicht nach diesem Gesetz ersetzt. Das ProdHaftG trägt vielmehr stark verbraucherschützende Züge. Es soll den Endverbrauer vor fehlerhaften Produkten schützen und nimmt dabei nicht nur den Endhersteller in die Pflicht, sondern auch jeden einzelnen Zulieferer. Jeder haftet für die Fehlerfreiheit seines Produktes.
Sowohl beim ProdHaftG wie bei den allgemeinen Haftungsregeln der §§ 823 ff. BGB geht der Streit meist um die Frage, wann ein Produktfehler zu bejahen ist. Die deutschen Gerichte haben sich damit in einer kaum noch überschaubaren Fülle von Urteilen beschäftigt.
Vereinfach gesagt liegt ein Produktfehler vor, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Wesentliche Umstände sind dabei insbesondere die Darbietung des Produktes, also auch die Art und Weise, in der es beworben wird, sowie der Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann. Zu letzterem zählt in erster Linie der sogenannte bestimmungsgemäße Gebrauch, also der Gebrauchszweck, für den das Produkt eigens hergestellt worden ist. So muß ein mit Rollen versehener Schreibtischstuhl selbstverständlich geeignet sein, daß man auf ihm sitzen kann und sich auch sitzend in Schreibtischnähe hin- und herbewegen kann, ohne daß der Schreibtischstuhl umstürzt. Dagegen gehört es nicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch dieses Schreibtischstuhls, daß man ihn als Leiterersatz benutzt.
Ohne weiteres leuchtet es ein, daß ein Produkt (mindestens) gewährleisten muß, daß es bei dem Gebrauch, für den es bestimmt ist, sicher ist. Nicht einsichtig ist jedoch, daß der Hersteller auch bei zweckwidriger Verwendung für einen Schaden haften soll. Andererseits beweist unser Alltag, daß Produkte nicht nur bestimmungsgemäß, sondern auch zweckwidrig verwendet werden und diese Bestimmungswidrigkeit bei genauer Beobachtung nicht einmal überraschend ist, sondern bei einer Vielzahl von Benutzern vorkommt. Beispiel: Die Tragkraft von Stahlseilen für einen Aufzug, der vier Personen befördern soll, muß für sechs oder sieben Personen ausgerichtet sein, weil die Überlastung eines Personenaufzuges abzusehen ist.
Haftung auch bei Fehlgebrauch
Der Stand der Rechtsprechung ist heute der, daß der Hersteller auch für Schäden haften muß, die bei bestimmungswidrigem Gebrauch eintreten, wobei die Rechtsprechung die Grenze zwischen sogenanntem naheliegendem und fernliegendem Fehlgebrauch zieht. Ein Fehlgebrauch liegt nahe, wenn er nach allgemeiner Erfahrung und der Erkennbarkeit von Mißbräuchen dem Hersteller hätte bekannt sein müssen, während ein Mißbrauch, mit dem man nicht rechnen mußte, „fernliegt“, also keine Haftung auslöst. Es liegt auf der Hand, daß die Abgrenzung zwischen naheliegendem und fernliegendem Fehlgebrauch im Einzelfall äußerst schwierig sein kann.
Entsprechend den „Entstehungs- und Lebensstadien“ eines Produktes hat es sich eingebürgert, zwischen Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlern zu unterscheiden (vgl. Kasten S. 76).
Wie bereits dargestellt, ist es dem Hersteller oft nicht möglich oder nicht zumutbar, ein Produkt so herzustellen, daß es für alle vorhersehbaren Verwendungszwecke gefahrlos benutzt werden kann und keine schädlichen Nebenwirkungen hat. Solche Produkte sind auch nicht von vornherein unzulässig, wie der Bereich der Arzneimittel eindrucksvoll zeigt. Andererseits gibt es Produkte, die für den überwiegenden Teil der Benutzer völlig unschädlich sind, jedoch für ganz bestimmte Personen (etwa Allergiker) gefährlich werden können. Auch in diesen Fällen darf das Produkt in den Verkehr gebracht werden. Der wohl wichtigste Fall ist der, daß das Produkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unschädlich ist und nur bei einem Fehlgebrauch Schäden verursachen kann, dieser Fehlgebrauch aber „naheliegt“. In all diesen Konstellationen hat der Hersteller die Pflicht, die potentiellen Benutzer durch besondere Kennzeichnung des Produkts oder durch Gebrauchsinformationen zu warnen, um die drohenden Gefahren abzuwenden. Die Warnung (Instruktion, daher kommt der Begriff „Instruktionsfehler“), muß zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschehen, also in aller Regel bei Inverkehrbringen. Warnpflichten bestehen grundsätzlich nur im Rahmen der Verbrauchererwartung; vor allgemein Bekanntem muß nicht gewarnt werden. Was als bekannt vorausgesetzt werden kann, läßt sich nicht absolut bestimmen, sondern hängt entscheidend von den in Betracht kommenden Verbraucherkreisen ab.
Warnhinweise müssen eindeutig sein
Von Fachkreisen kann man weitaus größere Kenntnisse über den Umgang mit dem Produkt erwarten als von Laien; bei Jugendlichen oder gar Kindern muß fast mit jedem Mißbrauch gerechnet werden. Dementsprechend sind die Warnhinweise zu gestalten; kommen unterschiedliche Kreise in Betracht, muß sich der Warnhinweis an der am wenigsten informierten und damit nach der gefährdetsten Benutzergruppe ausrichten. Warnhinweise müssen übersichtlich, klar und plausibel sein. Wichtige Hinweise über Produktgefahren dürfen nicht zwischen sonstigen Produktinformationen wie Darreichungsformen, Werbeaussagen oder Garantiebedingungen versteckt sein. Unter Umständen ist es erforderlich, in den Warnhinweisen das Wichtigste hervorzuheben. Unverzichtbar ist nach der Rechtsprechung, daß der Warnhinweis das spezifische Risiko in seiner ganzen Tragweite und möglichst eindringlich schildern muß (sogenannte Folgenwarnung). Der Benutzer soll wissen, was ihm geschieht, wenn er die Warnung in den Wind schlägt.
Die Pflicht des Herstellers, möglichst alles zu tun, damit durch sein Produkt Dritte nicht geschädigt werden, endet nicht mit der Inverkehrgabe des Produkts. Auch danach ist der Hersteller zur Aufklärung und Warnung verpflichtet, wenn von dem Produkt – möglicherweise erstmals überhaupt erkennbar – Gefahren ausgehen. Deshalb muß der Hersteller sein Produkt beobachten und ggf. Maßnahmen zur Schadensverhütung ergreifen. Verdichten sich entsprechende Verdachtsmomente, ist der Hersteller zur Warnung der in Betracht kommenden Benutzerkreise verpflichtet und darüber hinaus zum Rückruf des Produktes, wenn nicht sichergestellt ist, daß durch die Warnung die Gefahr beseitigt werden kann. Die Produktbeobachtungspflicht bezieht sich dabei nicht nur auf das eigene Produkt, sondern auch auf Gefahren, die aus der Kombination des eigenen Produktes mit Produkten anderer Hersteller entstehen können.
Diese Pflichten treffen nicht nur den Endhersteller, sondern auch den Hersteller eines Teilproduktes. In einer Zulieferkette ist jeder einzelne Zulieferer Hersteller. Darüber hinaus haftet ein Unternehmen auch dann als Hersteller, wenn es das Produkt zwar nicht selbst hergestellt hat, sich aber beispielsweise durch Anbringung seiner Firma, seiner Marke oder eines sonstigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt.
Serie Produkthaftung
Die Sicherheitsanforderungen an industriell gefertigte Güter bergen auch für Zulieferer ein erhebliches Haftungsrisiko – bis hin zur strafrechtlichen Verantwortung leitender Mitarbeiter. Nicht nur das Gesetz, sondern auch die Rechtsprechung definieren die Anforderungen. Aber nur wer die Gefahren kennt, kann sie bannen. Der INDUSTRIEANZEIGER informiert deshalb seine Leser mit einer umfassenden Serie, verfaßt von einem renommierten Experten, über alles, was Zulieferer über Produkthaftung wissen müssen.
Die Folgen
Die Serie umfaßt insgesamt fünf Folgen:
Weiterfresserschäden: Wie die Produkthaftung erweitert wurde.
Risiken für Zulieferer:Wann Zulieferer haftbar sind.
Regreß zwischen Hersteller und Lieferant:Wann Unterlieferanten zahlen müssen.
QSV und Produkthaftung:Wie Risiken verteilt werden können.Der nächste Beitrag erscheint in der Ausgabe 46 am 9.11.1998.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
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