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Wenn Zulieferer Lager des Kunden managen

Logistikkonzepte: Vendor Managed Inventory
Wenn Zulieferer Lager des Kunden managen

Beim Vendor Managed Inventory (VMI) übernimmt der Lieferant das Management der Lagerbestände des Kunden. Die Idee ist umstritten. Hat der Lieferant mehr Nach- oder mehr Vorteile daraus?

Thomas Baumgärtner ist Journalist in Kusterdingen tb.Presse@t-online.de

Panikbestellungen sind das, was Abnehmer und Zulieferer am meisten fürchten. Dann wenn Lieferengpässe drohen, wird heftig nachgeordert. Meist eh schon in Bedrängnis, kommt der Lieferant mit seinen Produktionskapazitäten dann endgültig ins Schleudern.
Solche Situationen sollen durch Vendor Managed Inventory (VMI) oder auch Supplier Managed Inventory (SMI) vermieden werden. Im Handel schon länger bekannt, hält das Prinzip jetzt Einzug in die herstellende Industrie.
Traditionelle Logistikkonzepte, die von einer Lieferanfrage des Kunden ausgehen, erfordern in der Regel Doppelarbeiten zwischen Vertrieb/Materialmanagement des Lieferanten einerseits und Disposition/Einkauf bei dem Abnehmer andererseits. VMI beruht hingegen auf einer permanenten Überwachung des Lagerbestandes durch den Lieferanten, auf einer Prognose des Kundenverbrauchs und der unaufgeforderten Lieferung. Der Lieferant löst also, und das ist das Innovative an diesem Prozess, die Bestellung des Kunden an ihn selbst aus.
Den Informations- und Materialfluss einer VMI-Partnerschaft beschreibt die Icon GmbH, Karlsruhe, Anbieter von VMI-Software in fünf Schritten:
1. Der Kunde sendet an den Lieferanten täglich die vereinbarten Informationen, wie
– die aktuellen Verkaufsdaten (POS-Daten) und die aktuellen Verbrauchsmengen in der Produktion des Kunden (z. B. die Lagerabgangsvolumina) und
– den aktuellen Lagerbestand im Wareneingangslager (WEL) des Kunden.
– Im Bedarfsfall sind weitere Informationen zu geben, wie der Verlust oder Gewinn eines größeren Kunden, der Zeitraum für geplante Promotions, Informationen über saisonale Schwankungen oder große einmalige Verkäufe.
  • 2. Der Lieferant verarbeitet die Daten, erstellt eine eigene Prognose, und generiert bei Bedarf eine Bestellung. Ausgeliefert wird nur, wenn der aktuelle Bestand im Lager des Kunden und die prognostizierte Nachfrage eine Auslieferung notwendig machen.
  • 3. Im Vorfeld der Auslieferung wird der Kunde per Versandavise informiert.
  • 4. Der Warentransfer wird durchgeführt.
  • 5. Die für den Kunden bestimmten Waren werden eingelagert.
Der größte Vorteil für den Zulieferer liegt in der besseren Planung für seine Produktionskapazitäten. Denn die Produktion wird nicht mehr vom einzelnen Kundenauftrag bestimmt, sondern von einer längerfristigen Absatzplanung. Die Flexibilität des Zulieferers bei der Produktions- und Transportplanung steigt also.
Das größte Gefahrenpotenzial liegt in der neuen Verantwortung. Viele Zulieferer schrecken vor dem Gedanken zurück, dass sie für die Lagerbestände ihres Kunden zuständig sind.
Abnehmermuss Datenliefern
Zwingende Voraussetzung für eine funk-tionierende VMI ist Datentransparenz. Nur wenn der Abnehmer seinen Lieferanten fortlaufend mit Informationen versorgt, kann dieser die Planungsvorteile auch nutzen.
Hilfreich für das Miteinander sind spezielle Software-Lösungen. Icon-Smile nennt sich die VMI-Lösung der Karlsruher Icon Gesellschaft für Supply Chain Management mbH. Bei vielen Anwendern ist die Bezeichnung „wir sind smile“ schon zum festen Synonym für Lieferungen innerhalb der vorgegebenen Schwankungsbreite geworden.
In Icon-Smile werden die Bestände und die geplanten Abgänge und/oder die Prognose des Kunden (Produktion oder Verkauf) für einen festgelegten Zeitraum in der Zukunft angezeigt. Der Zugriff der Zulieferer wird für definierte Produkte freigeschaltet, er erhält Zugang zu den Bestandsdaten und die Prognosen. Basierend auf diesen Daten wird der Nachschub gesteuert, der Zulieferer gibt die geplanten Liefermengen in das System ein. Die Daten können genutzt werden, um in dem Warenwirtschafts-system des Kunden Aufträge zu generieren. Die Bestandsgrenzen, bei denen ein Alert ausgelöst werden soll, sind frei definierbar und garantieren die nötige Flexibilität, die für eine lokale Ausführung der Bestellung nötig sind. Der Zugang kann über einen Windows Client (hier dargestellt) oder über einen Web-Zugriff erfolgen.
Zu den Anwendern dieser Software gehört auch die Hewlett-Packard GmbH. Seit vier Jahren erhalten über 30 Lieferanten – meist Mittelständler – so die relevanten Daten. Dabei geht es um rund 2500 verschiedene Teile für verschiedene europäische Werke.
Auch bei Supply-On, Hallbergmoos, dem elektronischen Marktplatz für die Automobilzulieferindustrie, steht jetzt eine VMI-Funktionalität zur Verfügung:
Planungssysteme müssen kompatibel sein
Ein Monitor, der Lieferant und Abnehmer als Planungstool zur Verfügung steht, soll der Dateneinsicht dienen. „Mit diesem lassen sich Lagerbestände, Transitmengen und geplante Lieferungen farblich visualisieren“, heißt es in einer Beschreibung von Supply-On. Das einkaufende Unternehmen könne dort seine voraussichtlichen Brutto-Bedarfe für die kommenden Wochen und Monate eintragen; der Lieferant plane anhand dieser Zahlen seine eigene Produktion – unter Berücksichtigung von vereinbarten Minimal- und Maximal-Lagerbeständen. „Die führt in der Regel bei beiden Geschäftspartnern zu signifikanten Verbesserungen im Blick auf Kosten und Qualität“, so Cornelia Staib, Sprecherin des Marktplatzbetreibers.
In der Praxis oft problematisch: die Kosten. Denn soll VMI eingerichtet werden, ist es notwendig, die unterschiedlichen Planungssysteme kompatibel zu gestalten. Das kann bis in die Tiefen des ERP-Systems gehen. Eine am besten vertraglich und vorab zu klärende Frage ist also, wie die Investitionen für neue oder die Aufrüstung von bestehenden Programmen den Partnern aufzuteilen sind.
In einem Vertrag geklärt werden sollten auch die Themen:
– Entscheidungen: Welche Vertragspartei für welche Entscheidung zuständig ist, sowie eine obligatorische Kontaktaufnahme bei bestimmten Fragen sollte – wie auch namentlich bestimmte Gesprächspartner – festgeschrieben sein.
– Bezahlung: Bestandteil jedes Vertrages müssen die Zahlungsmodalitäten sein. Wichtig dabei: Wann wird die Ware Eigentum des Käufers? Auch sollte festgelegt sein, ob Dienstleistungen extra vergütet werden.
– Datenweitergabe: Natürlich gelten die Regeln des Datenschutzes. Aber es ist sicher hilfreich, wenn aufgelistet ist, welche Daten für die Auftragserfüllung nötig sind oder bereitgestellt werden.
VMI gilt als Fortentwicklung von JIT oder JIS. Ziel der takt- oder sequenzgenauen Anlieferung von Teilen an das Montageband ist es, den Materialfluss zwischen zwei Fertigungsunternehmen zu rationalisieren.
VIM hat hingegen das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk im Blick und fügt sich methodisch ein in aktuelle Strategien, die unter dem Begriff Supplier Relationship Management diskutiert werden.
Lagerdispositionvia Marktplatz
VMI als Marktplatz-Funktionalität: Auf dem elektronischen Marktplatz Supply-On steht jetzt ein VMI-Monitor zur Verfügung. Das System zeigt an, wenn der vereinbarte Mindestbestand unterschritten oder die Bestandsgrenze erreicht ist.
Mit dem Einblick des Lieferanten in die Lagerbestände seines Kunden hat dieser die Möglichkeit, seine Produktionskapazitäten besser auszulasten und seine Fertigung zu glätten.
Ein hohes Verbesserungspotenzial liegt auch in der optimalen Ausnutzung von Verpackungseinheiten und in der Zusammenfassung von Ausliefertouren. Nicht zuletzt kann der Lieferant dank VMI auch seinen administrativen Aufwand in der Logistik reduzieren.
Die Vorteile auf Kundenseite liegen vor allem bei geringeren Lagerbe-ständen und weniger Prozesskosten.
Der Marktplatz Supply-On (www.supplyon.com) versteht sich als, wie es heißt, Plattform „von Zulieferern für Zulieferer“. Sie soll die proprietären Plattformen der Automobilhersteller ergänzen. Gegründet wurde Supply-On im Sommer 2000 von führenden, international tätigen Automobil-Zulieferunternehmen. Nach Angaben des Betreibers sind auf dem Marktplatz Unternehmen aus mehr als 30 Ländern als Nutzer registriert. Der Handel dort ist kostenpflichtig.
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