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„Der Endkunde muss bezahlen“

Drehteilehersteller wehren sich Angesichts der Rohstoffpreis-Explosion
„Der Endkunde muss bezahlen“

Die Rohstoffpreise sind eine Gefahr für die Zulieferkette, warnt Willi Gaule, Vorsitzender des Verbandes der Drehteileindustrie. Zudem flaut der Auftragsboom ab. Gaule, im Hauptberuf Geschäftsführer von Räuchle Präzision in Dietenheim, fordert neue Spielregeln für die Zusammenarbeit mit den Abnehmern.

Wie sieht die Lage in den Betrieben angesichts der Stahlpreissituation aus?

Von der Rohstoffseite her sind wir zu Jahresbeginn alle überrascht worden. Es war klar, dass eine weitere Preiserhöhung ansteht, aber die Höhe wurde ganz anders prognostiziert. Es war von 3 bis 5 Prozent plus die Rede, heute liegen wir in einer Größenordnung von plus 25 Prozent, weitere Erhöhungen sind angekündigt.
Welcher Ausweg schwebt Ihnen vor?
Es kann nicht sein, dass irgendein Stahl- und Metallverarbeiter diese Teuerung komplett oder teilweise trägt, so wie es häufig von den Kunden angestrebt wird. Es wird zwingend erforderlich sein, diese Materialteuerungen eins zu eins an die direkten Abnehmer weiterzugeben. Es geht nicht, dass wir als Teilehersteller den großen Automobilkonzernen unter die Arme greifen müssen – es geht nicht, dass wir Verluste erwirtschaften, nur um Umsatz zu machen.
Auch die Ausgangsmaterialien für Stahl – Kokskohle, Schrott und Erz – sind sehr teuer geworden, klagen die Stahlhersteller …
…die Stahlwerke müssen sicher höhere Preise für ihre Rohstoffe bezahlen. Aber ich denke, dass die Produzenten die derzeitige Situation zu ihrem Vorteil nutzen, um den Stahlpreis auf ein höheres Niveau zu bringen. Fairerweise muss man zugeben, dass die Stahlwerke einen sehr hohen Nachholbedarf bei den Investitionen haben. Es war ein Fehler, in der Vergangenheit Kapazitäten abzubauen. So kam es zu einer Verknappung.
Stichwort Energiepreise: Wie stark sind in diesem Punkt die Stahl- und Metallverarbeiter betroffen?
Ein Beispiel: Wir mussten vor zwei Jahren unseren Strombelieferungsvertrag neu abschließen – mit der Folge, dass die Preise um 27 Prozent höher ausfielen. Jetzt sind wir wieder in Verhandlungen und sprechen von einer Basis von plus 25 Prozent. Dabei ist in Deutschland der reine Strompreis nicht das einzige Problem, sondern die zusätzlichen Kosten zur Förderung der erneuerbaren Energien und die Stromsteuer.
Inwieweit helfen Maßnahmen zur Energieeffizienz?
Gemeinsam mit dem Stromversorger haben wir eine Energieeffizienzanalyse erarbeitet und die Verlustbringer definiert. Wir kommen auf ein Einsparpotenzial von etwa 200 000 Euro gesamt. Bei rund 60 Mio. Euro Jahresumsatz ist das nicht allzuviel. Außerdem erfordern die Maßnahmen Investitionen, die sich erst spät amortisieren. Wir haben aber bei den neuen Anlagen schon viele Maßnahmen erfolgreich umgesetzt.
Was kann der Branchenverband angesichts der Rohstoff- und Energiepreise bewirken?
Der Verband hat seine vorrangige Aufgabe darin, die Probleme, die über die Rohstoff- und Energieteuerungen entstehen, zu analysieren und über Öffentlichkeitsarbeit publik zu machen. Für den Endkunden ist es ja nicht ersichtlich, wie stark der Stahlpreis oder die Energiekosten in die Fahrzeugproduktion einfließen.
Warum nicht?
Die Automobilhersteller haben es verstanden, mit der Stahlpreiserhöhung nicht deutlich an ihre Endkunden heranzutreten. Bislang gelang es ihnen, dass wir Lieferanten einen Teil der Stahlpreiserhöhung kompensierten. Jetzt geht das nicht mehr, weil die Teuerung so exorbitant ist, dass sie existenziell sein könnte. Der Materialanteil macht zum Beispiel in unserem Betrieb ja 30 Prozent aus. Letztlich muss der Endkunde diese Teuerung bezahlen, es führt kein Weg daran vorbei, dass Autos teurer werden. Wie sich das Käuferverhalten dann entwickelt, bleibt natürlich spannend.
Wie verändert das die Position im globalen Wettbewerb?
Das gute an den hohen Stahlpreisen ist, dass alle Märkte weltweit das gleiche Problem haben – auch die asiatischen. Dadurch sinkt der Lohnanteil im Produkt, was für uns im Export interessant ist.
Der Umgangston zwischen OEMs und Zulieferern wird ruppiger, klagen viele. Wie sind ihre Erfahrungen?
Die Zusammenarbeit war schon in der Vergangenheit schwierig und wird durch diese sehr kurzfristigen Veränderungen nicht einfacher. Ganz klar: Die Automobilhersteller taktieren derzeit, um gewisse Vorteile aus der Situation zu ziehen.
Was kann der einzelne Lieferant tun?
Es hängt immer von der Position ab, aus der der Zulieferer verhandelt. Das kann auch dazu führen, dass man sich von einem Auftrag trennt. Wir haben über Jahre den Abnehmern Preisnachlässe für Rationalisierungseffekte weitergegeben. Dabei erzielen wir mit unserer zweistufigen Fertigung gar keine besonders hohen Rationalisierungseffekte. So wurde die Marge geringer.
Ist die viel gelobte deutsche Zulieferkette in Gefahr?
Die Automobilindustrie geht ein zusätzliches Risiko ein, weil sie – wie die Tier 1- und Tier 2-Lieferanten – nicht bereit ist, längerfristige Materialbestellungen freizugeben. Die Abnehmer erteilen uns nur eine Materialfreigabe von zwei Monaten. Dabei liegen bei manchen Stahlgüten die Lieferzeiten bei drei, vier oder sogar bis zu acht Monaten.
Wie geht das dann in der Praxis?
Wir Zulieferer bestellen das Material auf eigenes Risiko, sonst würden wir gar keine Teile liefern können. Durch eigene Läger, auch von Halbfertigprodukten, binden wir sehr viel Kapital. Wir machen notgedrungen betriebswirtschaftlich alles falsch.
Wie könnte die Zusammenarbeit funktionieren?
Uns würde es helfen, wenn sich die Automobilhersteller und ihre Zulieferer in der gesamten Kette für längere Beschaffungsperioden verpflichten würden. Aber im Gegenteil: Die Perioden werden immer kürzer. Zudem setzen viele OEMs auf Konsignationsläger. Dabei liefern wir in das fremdbewirtschaftete Lager, der Kunde entnimmt jeden Tag soviel er benötigt, dann fakturieren wir, und jetzt erst beginnt das Zahlungsziel zu laufen. Bei manchen Kunden warten wir also 120 bis 150 Tage auf unser Geld. Was sich immerhin zum Positiven verändert hat, ist die Zahlungsmoral.
Was kann der Verband angesichts dieser kaufmännischen Gepflogenheiten tun?
In die kaufmännische Seite kann und soll der Verband nicht eingreifen. Er kann Rahmenbedingungen in der Geschäftsbeziehung verhandeln, mitwirken bei der Analyse und Bewertung von Einkaufs- und Lieferbedingungen oder Qualitätssicherungs-Vereinbarungen, aber jede Firma vertritt letztendlich ihre eigenen Interessen.
Wie stellen Sie sicher, dass Sie ihren Platz in der automobilen Wertschöpfungskette behalten?
Generell müssen wir dem Kunden ein Innovationsangebot unterbreiten. Wir müssen ihm für seine Bedürfnisse an Teilen oder Projekten ein passendes Angebot entwickeln. In puncto Maschineneinsatz müssen wir außerdem immer auf dem neuesten Stand sein. Die Technik ist im Wandel, die Teile werden immer genauer, immer komplexer. Wichtig ist auch, dass wir die Volumenentwicklung bei den Kunden mitgehen können und die entsprechenden Kapazitäten haben. Zudem achten die Kunden sehr stark darauf, dass ein Notfallplan besteht.
Wie muss die Politik handeln, damit sich die Lage der mittelständischen Industrie verbessert?
Die Politik hat die Aufgabe, den Bürgern Sicherheit zu geben. Wenn das Gefühl einer verlässlichen Politik vermittelt wird, kommt auch die Konsumbereitschaft, was der ganzen Wirtschaft Schwung verleihen würde. Die deutsche Automobilindustrie lebt derzeit ja eher vom Export als vom Inland. Es gibt so viele ungeklärte und vage Aussagen, wie beispielsweise die Steuer- und Abgabenbelastung in Zukunft aussehen könnte. Die Menschen und die Unternehmen haben keine Planungssicherheit. Zudem muss sich Leistung im Netto-Lohn ausdrücken.
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Drehteileverband im Überblick
Der Verband der Deutschen Drehteile-Industrie in Düsseldorf wurde im Jahre 1948 gegründet und hat heute mehr als 100 Mitgliedsunternehmen. Er ist in die übergeordneten Verbände Fachverband Metallwaren- und verwandte Industrien (FMI) und den Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) eingebunden. Die Drehteilebranche steigerte 2007 den Umsatz um 11,2 % zum Vorjahr. Der um die Materialkosten bereinigte Umsatz stieg 2007 lediglich um 5 %. www.drehteileverband.de
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