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Potenziale erhöhen

Indirekte Beschaffung
Potenziale erhöhen

Tail Spend Management | Lange führte die indirekte Beschaffung ein Schattendasein. Inzwischen ist die Professionalisierung des Einkaufs fortgeschritten: Große Warengruppen werden von Spezialisten strategisch gesteuert, Richtlinien regeln den Verbrauch.

Prof. Dr. Michael Eßig Professor für Materialwirtschaft und Distribution, Uni der Bundeswehr, München Ralf Mägerle Managing Director, Accenture, Schweiz

Der Anteil von Nicht-Produktionsmaterialien und Dienstleistungen beläuft sich im branchenübergreifenden Durchschnitt auf fast 40 % des Beschaffungsvolumens und wurde dennoch lange völlig außer Acht gelassen: zu vielfältig der Bedarf, zu dezentral und zu komplex die Bedarfsträgerstruktur, zu intransparent. Mittlerweile wird auch hier deutlich professioneller gearbeitet: große Warengruppen werden von spezialisierten Einkäufern strategisch beschafft, das Beschaffungsvolumen ist hier weitgehend transparent.
Doch in Zeiten des globalisierten Wettbewerbs reicht ein „80/20“-Ansatz nicht mehr aus. Auch bisher als zu kleinteilig erachtete Volumina können und sollten gezielt bearbeitet werden. „Tail Spend Management“ heißt das Konzept, das, angelehnt an das grafische Bild des Ausläufers der Beschaffungsvolumenkurve eine Aufteilung in verschiedene Segmente vornimmt und gezielte Lösungsansätze hierfür vorschlägt. Unternehmen, die im indirekten Einkauf bereits 80 % des Beschaffungsvolumens in strategischen Warengruppen kontrollieren, haben dort schon eine weitgehende Optimierung erreicht und konzentrieren sich über gebündelte Rahmenverträge auf relativ wenige Lieferanten, die sie mit klar zugeordneten Warengruppenmanagern bearbeiten und wo sie über weltweit harmonisierte Servicelevel und Preise verfügen (Segment 1a; siehe auch für weitere Hinweise die Grafik auf Seite 24). Doch schon hier können sich im Rahmen einer Tail-Spend-Analyse Abweichungen zeigen: nämlich dann, wenn Teile der Organisation trotz bestehender Warengruppenstrukturen und -verträge eigenständig beschaffen (Segment 1b, auch „Maverick Buying“).
Das angrenzende Segment sind höherpreisige Beschaffungsobjekte, die eigentlich Teil einer strategischen Warengruppe sind – aber unter Nichtnutzung existierender Verträge beschafft werden (wiederum „Maverick Buying“) oder für die tatsächlich kein gezieltes Lieferantenmanagement existiert (Segment 2).
Für das dritte Segment, meist Einmalaufwände bei einer Vielzahl von Lieferanten, lohnt der Aufwand für ein solch strategisches Warengruppenmanagement nicht mehr, dennoch können hier Veränderungen im operativen und taktischen Einkauf als Optimierungsansätze genutzt werden (Segment 3).
Am Ende der Spend-Kurve finden sich in Segment 4 Kleinstbeträge für eine sehr große Lieferantenvielfalt, bei der zu analysieren gilt, ob und in welchem Umfang Verbesserungen zweckmäßig sind.
Die Verhältnisse zwischen den einzelnen Segmenten lassen sich leicht in Zahlen aus einem Praxisbeispiel ausdrücken: bei einem großen Konsumgüterhersteller entfielen 80 % des Spend auf etwa 3000 Lieferanten, weitere 15 % auf die rund 40 000 Lieferanten des Segments und über 80 000 Lieferanten auf die verbleibenden 5 % der Segmente 3 + 4 mit einem Jahresvolumen von weniger als 50 000 Euro pro Jahr und Lieferant.
Die Grundlage des Tail Spend Management bildet eine umfassende Analyse bis hin zu Einzeltransaktionen, um die richtige Segmentszuordnung und darauf basierend die jeweils passende Strategie zu definieren. Hier kann auf gängige Portfolio-Ansätze zurückgegriffen werden, die leicht auf die Tail-Spend-Segmentierung übertragbar sind. Für strategische bedeutende Warengruppen des Segments 1 werden gezielt gesteuerte Lieferantenbeziehungen vorgesehen, was konform mit den Ansätzen des Tail Spend Managements ist. Für wiederholt auftretende Bedarfe des Segments 2 kann über die Erhöhung der Versorgungssicherheit als Normstrategie, zum Beispiel durch Rahmenvertragsabschlüsse, eine Annäherung an Segment 1 geschaffen werden. Die Hebelstrategie für unkritische, aber wertmäßig einigermaßen bedeutende, Beschaffungsobjekte empfiehlt, kurzfristige Beschaffungspotenziale, durch Erzeugung von Lieferantenwettbewerb beziehungsweise Spot-Buying zu heben. Für unkritische (Kleinst-)Artikel empfiehlt die Portfolio-Normstrategie vor allem, die Effizienz in der Bedarfserfüllung zu erhöhen, zum Beispiel durch Automatisierung der Prozesse.
Die Zuordnung der Tail-Spend-Segmente zu den Feldern der Beschaffungsstrategie-Portfolio zeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen Tail Spend Management und strategischer Beschaffung besteht. Trotzdem fehlen in vielen Unternehmen die Ansätze, insbesondere die kleinteiligen Beschaffungsvolumina adäquat zu adressieren.
Tail Spend Management konzentriert die Optimierung auf die Segmente 1b-4 und stellt spezifische Optimierungsansätze zur Verfügung. Für das Segment 1b steht die Bestrebung, über gezielte Analyse die Nichtnutzung von Verträgen zu identifizieren und durch gezielte Maßnahmen wie beispielsweise Sanktionierung, Change Management zu reduzieren. Für Beschaffungsobjekte, wo wiederkehrender Bedarf zu erwarten ist, aber noch keine Warengruppenstrategie existiert (Segment 2), sollte eine gezielte Optimierung beispielsweise durch Bündelung und Rahmenverträge, aus denen IT-basiert abgerufen werden kann, vorangetrieben werden. Ziel beider Maßnahmen ist es, den „Managed Spend“, also Segment 1a, zu vergrößern und durch den Einkauf steuern zu lassen. Der hier entstehende Aufwand, zum Beispiel zusätzliches Personal von Warengruppenmanagern, ist für Beschaffungsvolumina des Segments 3 nicht mehr zu rechtfertigen – zu kleinteilig, heterogen und unregelmäßig ist hier oft der Bedarf. Aber warum nicht bei einem Renovierungsauftrag über 20 000 Euro noch einige Konkurrenzanbieter anfragen oder bei einem Laborgerät für 50 000 Euro noch einmal Alternativlösungen suchen? Da hier den eigentlichen Bedarfsträgern oft das Know-how und dem Einkauf die Ressourcen fehlen, können hier ggf. spezialisierte Dienstleister einspringen, die durch Skalierung existierender (IT-)Infrastruktur und Mitarbeiterressourcen taktische und operative Einkaufsprozesse anbieten. Diese könnten sowohl intern als „Shared Service“-Funktion als auch durch externe Unternehmen erbracht werden.
So können vom Dienstleister kurzfristig bereitgestellte Kataloge für typische Spot-Buys über eine „Purchasing Card“-Lösung einen Ansatz darstellen, in dem die Bedarfsträger wiederkehrende Kleinbedarfe selbst bestellen. Von Vorteil sind hier die Möglichkeit zur kurzfristigen Einbindung in existierende IT-Strukturen (zum Beispiel Anbindung Intranet), die kurzfristige Etablierung eines hochautomatisierten Prozessablaufs sowie Bündelungsvorteile durch mögliche Nutzung von Rahmenverträgen gemeinsam mit anderen Unternehmen über den Dienstleister („Virtuelle Bündelung“).
Doch auch für höherwertige Einmalbedarfe (Wert zwischen 5000 und 50 000 Euro) können „on demand“-Lösungen auch für komplexere Beschaffungsobjekte angeboten werden. Die Bedarfsträger geben dabei ihren Bedarf so exakt wie möglich und samt einer Wertvorstellung in eine Freitext-Bestellanforderung ein und schlagen gegebenenfalls sogar Lieferanten vor. •
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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