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Covid 19: Industrie braucht Liquiditätshilfen

Liquiditätsprobleme als Schreckgespenst und Herausforderung
Wie die Industrie gegen Covid 19 kämpft

Von Deutschland bis Italien, dem derzeitigen Epizentrum der Krise, ringt die Industrie zusammen mit der Politik darum, die Folgen der Epidemie zu dämpfen. Worst Case wäre ein Stillstand der Produktion auf längere Zeit. Die europäischen Industrieverbände denken über Wiederhochfahr-Szenarien nach.

Guiliana Acerbi
Fachjournalistin in Stuttgart
Olaf Stauß
Redaktion Industrieanzeiger

Wer aus dem Haus geht, findet leere Straßen vor, verlassene Werksgelände und Schulhöfe, auf denen keine Kinder mehr lärmen. Als wäre die Pest über das Land gezogen. Und so ähnlich ist es auch. Doch in den Wohnzimmern laufen die Drähte heiß. Vertreter der Verbände versuchen, die Lage zu erfassen, die sich täglich verändert in der Covid-19-Ausbreitung. Der Industrieverband Massivumformung (IMU) etwa trommelt alle zwei bis drei Tage seine 120 Mitglieder zur Webkonferenz zusammen. Am 20. März gaben 78 % an, von Auftragsverschiebungen oder -stornierungen bis hin zur Schließung von Kundenwerken betroffen zu sein. Eine Woche später am 27. März waren es bereits 93 %.

Ähnliches berichtete der VDMA am 30. März von seiner zweiten Blitzumfrage, an der 965 deutsche Maschinenbauer teilnahmen. 84 % melden einen beeinträchtigten Betrieb. 95 % dieser 84 % stellten Störungen in der Lieferkette fest, besonders in Italien (75 %), dann in Deutschland (55 %) und an dritter Stelle in China (51 %). Noch beunruhigender: Rund zwei Drittel der betroffenen Maschinenbauer klagen bereits über Liquiditätsengpässe.

Italienischer Verband Ucimu setzt auf schnelles Wiederhochfahren

Die Dynamik ist groß. Am 20. März sprachen wir mit Massimo Carboniero, Präsident des Maschinenbauer-Verbandes Ucimu. Wir fragten nach der Lage im Corona-geschüttelten Italien und wollten Tipps für deutsche Firmen. Teilweise werde noch normal produziert, berichtete Carboniero. Nur zwei Tage später kündigte Ministerpräsident Conte den Stillstand aller Betriebe an, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken – ausgenommen „wesentliche Sektoren“ wie Medizin, Pharma oder Transport. Am 2. April, elf Tage nach dem Produktionsstopp, sagte Carboniero dem Industrieanzeiger: „Meiner Meinung nach kann der Industriestandort Italien die Wirtschaft nicht länger als zwei bis drei Wochen lahmlegen.“ Beide Industrieanzeiger-Interviews stehen online: http://hier.pro/ynCdz und http://hier.pro/UbqVF

Auch wirtschaftlich ist Italien besonders betroffen. Der Grund sind nicht allein die Regierungs-Dekrete. „Weil die Automobilhersteller ihre Produktionen über mehrere Wochen geschlossen haben, konnten die Firmen schon vorher nichts mehr ausliefern“, betont Jörg Buck, Geschäftsführer der Deutsch-Italienischen Handelskammer AHK mit Sitz in Mailand. „Dies hat Auswirkungen auf die italienischen Zulieferer und in der Folge auf den Maschinenbau.“ Ähnliches gilt für deutsche Zulieferer wie etwa die Massivumformer.

Die Verbände sind vehement gegen einen Shut-down. Sie setzen alles daran, die Lieferfähigkeit zu erhalten – oder die Produktionen schnell wieder in Gang zu bringen. „Wenn die Lieferketten reißen, führt dies zu irreparablen Schäden mit riesigen ökonomischen Auswirkungen“, gibt Dr. Ralph Wiechers zu bedenken, Chefvolkswirt des VDMA und Mitglied der Hauptgeschäftsführung. „Die Industrie ist nicht die Quelle von Corona-Infektionen, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Mit strikten Maßnahmen können wir uns gut schützen.“ Dennoch lässt Wiechers keinen Zweifel daran, dass die Gesundheit vorgeht. „Alles hängt von der weiteren Entwicklung ab.“

Italienische Gewerkschaften kämpften für strikte Maßnahmen gegen Covid 19

Skepsis am Ernst der Lage herrscht in Teilen der deutschen Bevölkerung. Die Italiener, die stärker mit den Auswirkungen von Covid-19 konfrontiert sind, denken anders. Die Gewerkschaften Cgil, Cisle und Uil setzten in Video-Verhandlungen mit der Regierung eine Verschärfung der Maßnahmen durch und ließen die Liste der Ausnahmen für Betriebe schrumpfen. „Es wurden große gemeinsame Anstrengungen unternommen, um die Gesundheit aller Arbeitnehmer und aller Bürger zu schützen,“ kommentierte das Gewerkschaftsbündnis seinen Verhandlungserfolg. So berichtete RAI News am 25. März.

Italien hat außerdem eine strenge Ausgangssperre. Die Menschen dürfen das Haus nur noch zum Einkaufen, für Arztbesuche und zum Joggen in unmittelbarer Nähe verlassen. Die Polizei kontrolliert, es drohen hohe Geldstrafen.

Aus Sicht der Verbände gilt es jetzt vorrangig, die Unternehmen liquide zu halten. „Die Politik hat schnell und umfassend reagiert“, lobt Holger Ade vom Verband IMU. „Es gibt noch Kritik, aber die Bundesregierung hört uns weiter zu.“

Ein Problem vieler Automobilzulieferer ist, dass sie schon vor der Corona-Krise in Kurzarbeit waren und diese nach Ablauf der Zwölfmonats-Frist nicht fortführen dürfen. Der VDMA hat ein ganzes Paket an Nachforderungen formuliert. Dazu gehören das Verlängern der Bezugsdauer auf 24 Monate und eine schnelle Reform des steuerlichen Verlustrücktrags wie von Bundesfinanzminister Scholz angekündigt.

Eine weitere Sorge gilt dem wirtschaftlichen Hochfahren nach der Krise, das zusätzliche Liquidität erfordert – etwa um die Lager zu füllen. Der italienische Arbeitgeberverband Confindustria hat dazu am 31. März ein Stufen-Szenario veröffentlicht. Es geht davon aus, dass Anfang Mai wieder 70 % der Betriebe produzieren können und Ende Juni alle. Dennoch wird das BIP zurückgehen. Um die Wirtschaft zu stabilisieren, schlägt Confindustria im Schulterschluss mit seinen deutschen und französichen Schwesterverbänden, wie es in der Erklärung heißt, ein dreijähriges Investitionsprogramm aus europäischen Mitteln in Höhe von 3000 Mrd. Euro vor.


Massimo Carboniero, Präsident von Ucimu, im Interview am 2. April – elf Tage nach dem verfügten Produktionsstopp in Italien. Hier ein Auszug – das komplette Interview hier: http://hier.pro/UbqVF
Bild: Ucimu

Massimo Carboniero erwartet Solidarität der Europäer

Wie lange wird es dauern, bis die Unternehmen wieder voll produzieren können?

Sollten die Infektionen spürbar absinken und die Betriebe, wie derzeit geplant, am 14. April wieder öffnen dürfen, so könnte die Produktion sofort wieder in Gang kommen. Dafür sorgt die Entschlossenheit und Flexibilität, die italienische Firmen auszeichnet.

Befürchten Sie künftig Wettbewerbsnachteile für italienische Hersteller durch den Stillstand?

Bei einer Wiederaufnahme ab 14. April sehe ich keine schwerwiegenden Folgen. Sollte es länger dauern, besteht natürlich die Gefahr, Marktanteile an Mitbewerber zu verlieren.

Unterstützen Sie die Forderung des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte nach so genannten ‚Corona Bonds‘?

Meiner Meinung nach sind sie der richtige Weg aus der Krise. Hier zeigt sich, ob Europa wirklich eine Einheit ist. Bei dieser Pandemie handelt es sich nicht um strukturelle Probleme einzelner Länder, sondern um eine Krise, die alle gleichermaßen betrifft. Deshalb ist ein gemeinsames Agieren nötig. Es geht um das Wohl aller und nicht um Einzelinteressen.

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