Startseite » Technik » Entwicklung »

Schlanke Legierungen senken Kosten

Stahl: Werkstoffentwicklungen kontern nächsten Preisanstieg
Schlanke Legierungen senken Kosten

Nach der Krise ist vor der Krise: Dass der Nickelpreis um 80 % gefallen ist, löst nicht das Verteuerungsproblem bei Edelstahl. Schon im nächsten Aufschwung zahlen sich neue Werkstoffe aus, die mit einem reduzierten Anteil an knappen Legierungselementen auskommen.

„Die Krise gräbt sich tief in alle Wertschöpfungsketten ein, die besonders export- und stahlintensiv sind“, erklärte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender vom Stahlinstitut VDEh auf der Handelsblatt-Jahrestagung Stahlmarkt 2009. Die Wirtschaftslage wirkt vorwärts und zurück in der Supply Chain: „Im Zuge der weltweiten Krise reduzierte sich auch die Nachfrage bei den Stahleinsatzstoffen“, erläutert Kerkhoff. Die Notierungen, besonders solche mit kurzfristiger Zeitbindung wie bei Schrott oder Legierungsmitteln, hätten sich erheblich von ihren historischen Höchstständen zurück entwickelt. Doch wie geht’s weiter – entspannt in die Zukunft?

Prof. Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, meint: „Die aktuelle Situation birgt große Gefahren, sie kann aber auch eine Chance sein, neue Wege zu beschreiten.“ Viele Hersteller setzen deswegen trotz der Finanzkrise auf Innovationen. Sie wollen so ihre Wettbewerbssituation mittel- bis langfristig ausbauen, das hat eine neue Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags DIHK ergeben. 47 % der befragten Unternehmen wollen in diesem Jahr ihre Innovationstätigkeit steigern. 42 % der Firmen planen, ihre Ausgaben für Forschungs- und Entwicklung zu erhöhen. Entscheidend ist aber, wann die Ergebnisse auf den Markt kommen – dann schon, wenn sich die Krise gedreht hat? Wohl denen, die ihre Hausaufgaben früh genug gemacht haben.
„Bevor die Preise für Legierungselemente eine rasante Talfahrt begannen, waren die teuren und teilweise stark volatilen Zugaben zum Stahl eine erhebliche Herausforderung für die Wertschöpfungskette“, erinnert sich Dr. Theodor Lutz Tutmann, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) und des Industrieverbands Massivumformung (IMU), Hagen. „Aber die wechselnden Zusatzkosten konnten wir großteils weitergeben.“ In vielen Industrien wie der Massivumformung sei dieses Anhängeverfahren für Schrott wie auch für Legierungsmittel etabliert und meist akzeptiert. „Doch die schwierig vorhersehbaren Schwankungen belasten grundsätzlich die Kalkulation.“
Kein Wunder also, wenn die Stahlindustrie gemeinsam mit den Stahlanwendern Forschungsprojekte zur Entwicklung alternativer Werkstoffe angestoßen hatte mit dem Ziel, teure Legierungselemente möglichst weitgehend zu substituieren, ohne auf erforderliche Bauteileigenschaften verzichten zu müssen. Positiv sind auch die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit mit innovativen Werkstoffentwicklungen sammeln konnte. Dr. Tutmann verweist dazu auf die ausscheidungshärtenden AFP-Stähle, wie sie von den Firmen des IMU angewendet werden.
„Solche Projekte stehen auch in der gegenwärtigen Situation – mit den wieder moderateren Preisen für Legierungselemente – nicht zur Disposition“, betont Tutmann. „Man ist sich sehr wohl bewusst, dass die Preis-Problematik im nächsten Aufschwung schnell wieder aktuell sein kann.“ Es stehe aus Sicht der Stahl- und Metallverarbeitung außer Frage, dass an den etablierten Zuschlagsystemen für Schrott und Legierungselemente grundsätzlich festgehalten werden muss, auch wenn manche Preise jetzt aktuell auf das Niveau von 2003 zurückgefallen sind.
Vor allem bei den Edelstählen bleibt die Kostenproblematik, wenn auch in verringertem Maße. Zur Zeit ist es so, dass bei ThyssenKrupp der Legierungszuschlag beispielsweise für den Werkstoff 1.4301, früher auch als V2A bekannt, auf 741 Euro/t für März 2009 gesunken ist, gegenüber 1730 Euro/t im Vorjahr. Damit werden Veränderungen auf dem Beschaffungsmarkt für die Rohstoffe weitergegeben. Denn auch der Nickelbasispreis hat sich reduziert – vom Höchststand 50 000 US-Dollar/t auf jetzt etwa 10 000 Dollar/t.
Unabhängig vom derzeit moderaten Preisniveau für die Legierungseinsatzstoffe arbeiten die Edelstahl-Hersteller intensiv an rohstoffeffizienten und damit kostengünstigeren Alternativen. „Jede Lösung, die an die untersten Grenzen der erforderlichen Legierungsgehalte geht oder diese gar absenkt – ohne dabei das Eigenschaftsprofil nachhaltig zu verändern – schafft oder erhält eine überlegene Marktposition und ist volkswirtschaftlich wertvoll“, betont Dr. Alfred Otto, Vorstandsmitglied für Strategische Produktentwicklung bei ThyssenKrupp Nirosta.
So ist es gelungen, ferritische, also im Wesentlichen Cr-legierte, Edelstähle für viele Einsatzfälle so zu qualifizieren, dass sie anstelle von kostenintensiveren austenitischen, chrom- und nickelhaltigen Edelstählen eingesetzt werden können. „Der neue ferritische Werkstoff Nirosta 4607 enthält 19 % Chrom, jedoch kein Nickel“, so Dr. Otto. „Er ist damit im Gegensatz zu den überwiegend eingesetzten nickelhaltigen Edelstählen völlig unabhängig von der Höhe des Nickelpreises und dessen Schwankungen.“ Eine weitere Besonderheit: 1.4607 ist der erste ferritische Edelstahl Europas, der in vielen Beanspruchungsfällen die Korrosionsbeständigkeit des nickelhaltigen 1.4301 erreicht. Für einige Einsatzfälle ist er sogar in der Lage, noch wesentlich teurere Chrom-Nickel-Molybdän-Stähle zu ersetzen.
Der Werkstoff hat nicht nur eine hohe Nasskorrosionsbeständigkeit sondern auch eine gute Hochtemperaturbeständigkeit, also hohen Widerstand gegen Verzunderung, die gerne die Wandstärken vermindert. Deswegen eignet er sich auch für die motornahen, heißen Bereiche des Automobil-Abgassystems. Durch Hinzufügen anderer Mikrolegierungselemente wird er zudem schweißbar mit allen Verfahren.
Um es an den Legierungszuschlägen auszumachen: Für den etablierten Standardwerkstoff 1.4301 beträgt der Betrag im März 741 Euro/t, für den neuen Werkstoff 1.4607 aber nur 394 Euro/t – und das bei insgesamt dramatisch gesunkenen Legierungselementkosten.
Der Vorteil wird sich verstärken, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Und dann kommt vermehrt zur Geltung, dass Rohstoffeffizienz auch heißt, teure Rohstoffe beziehungsweise Legierungselemente nur an solchen Stellen in ein Bauteil zu bringen, wo sie aufgrund der Beanspruchung auch wirklich benötigt werden. Werkstofftechnisch gestalteten „Tailored Products“ gehört die Zukunft, unabhängig von Explosionen an der Metallbörse.
Was allen Stahlanwendern zu denken geben sollte: Aufgrund der aktuell gedrückten Nachfrage und der eingeschränkten Finanzierungsbedingungen sind von den Minengesellschaften zahlreiche Erweiterungsprojekte für Rohstoffe verschoben oder aufgegeben worden – und das trotz mittelfristig weiterhin gültigen Wachstumsperspektiven für den weltweiten Rohstoffbedarf. Solche Kurzschlusshandlungen haben Folgen für die Zukunft.
Nach Meinung von Stahlverbandschef Kerkhoff ist zu befürchten, dass es nach der Überwindung der Krise erneut zu Engpässen bei der Rohstoffversorgung und den damit verbundenen Preissprüngen kommen wird. „Auch die Bemühungen Chinas zum Erwerb von lukrativen Rohstoffvorkommen können auf mittlere Sicht zu Friktionen beim Rohstoffangebot führen“, so Kerkhoff.
Siegfried Kämpfer Journalist in Solingen

Kosteneffizienz.
Durch die Krise ist der Nickelbasis-Preis in einem Jahr von 50 000 auf 10 000 US-Dollar/t gefallen. Entsprechend sind auch die Legierungszuschläge gesunken, die die Stahlhersteller an ihre Kunden weitergeben: Für den Werkstoff 1.4301, auch als V2A bekannt, betragen sie im März 741 Euro/t gegenüber 1730 Euro/t im Vorjahr. Beim Stahl 1.4607 aber, der dieselbe Korrosionsbeständigkeit ohne Nickel und Molybdän bietet, ist der Aufpreis selbst jetzt noch deutlich niedriger, 394 Euro/t. Es könnte sich lohnen, auf solche innovativen Werkstoffe umzusteigen, bevor die Preise wieder in die Höhe schnellen.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de