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„Im Ausland tätig zu sein, muss man wirklich wollen“

Marco Schülken, Vorsitzender des VDMA Werkzeugbaus, über die Situation der Branche
„Im Ausland tätig zu sein, muss man wirklich wollen“

Dem Werkzeugbau gehe es derzeit überwiegend gut, sagt Marco Schülken, Vorsitzender des VDMA Werkzeugbaus und Geschäftsführer der Werkzeugbau Ruhla GmbH in Seebach. Dennoch muss sich die Branche einigen Herausforderungen stellen.

Herr Schülken, wie geht ’s dem deutschen Werkzeug- und Formenbau derzeit?

Unsere Branche kann im Moment sehr zufrieden sein. Ich sehe das auch der Tatsache geschuldet, dass es durch die Krise eine Marktbereinigung gab und sich das Auftragsvolumen auf weniger Betriebe verteilt. Wer jetzt jammert, der sollte sein Geschäftsmodell überprüfen.
Wo stehen die Betriebe international?
Die Werkzeugbauer aus dem deutschsprachigen Raum stehen nach wie vor an der Spitze. Ich sehe keine internationale Konkurrenz, vor der wir uns fürchten müssen.
Woher kommt der schärfste Wettbewerb?
Aus China, Taiwan und Korea. Das hat auch mit der Einstellung vieler Einkäufer zu tun, für die Geiz nach wie vor geil ist und die noch immer nicht auf die Lebenszykluskosten achten. Großer Wettbewerb kommt auch aus Westeuropa, wo die Branche zum Teil von den Regierungen gestützt wird. Im Spritzgussformenbau sind nach wie vor die Portugiesen und Italiener gut dabei, und bei den Stanz- und Umformwerkzeugen für den Automobilbau werden die Kollegen aus der Türkei immer stärker.
Sind die deutschen Werkzeuge für manche Märkte nicht zu aufwändig und komplex?
Natürlich bieten wir einen hohen Standard, von dem wir auch nicht abrücken sollten. Die Qualität unserer Werkzeuge ist ein wesentliches Argument für unsere Kunden im Ausland, bei uns zu kaufen. Natürlich ist es auch so, dass in einigen Märkten unter anderen Bedingungen produziert werden muss. Hier kann es sinnvoll sein, die Komplexität der betreffenden Werkzeuge zu reduzieren, beispielsweise indem elektronische Komponenten durch mechanische ersetzt werden. Die Qualität an sich sollten wir jedoch nicht beschneiden. Sie ist die Basis für die günstigen Lebenszykluskosten unserer Werkzeuge. Und dieser Mehrwert ist auch im Ausland ein wichtiges Kaufkriterium.
Rechnen Sie mit einer weiteren Abwanderung von Aufträgen zu Billiganbietern?
Nein. Die Kunden, die gehen wollten, sind bereits gegangen. Viele haben sich aber auch mit Werkzeugen aus China eine blutige Nase geholt und kommen inzwischen zurück nach Europa. Ein großer Vorteil, den wir hier in Deutschland haben: Unsere Produktionskapazitäten und der Bedarf sind mit einem Volumen von 4,4 zu 3,8 Milliarden Euro recht ausgeglichen. Wir exportieren Werkzeuge für 1,7 Milliarden und importieren für 1,1 Milliarden. Wir könnten uns selbst versorgen. Das wird China in absehbarer Zeit nicht schaffen. Deshalb sollten wir eher Chancen als Risiken in der Internationalisierung sehen. Zudem sind gute chinesische Werkzeuge auch nicht mehr so billig. Übrigens: Es gibt eine Reihe von Kollegen in Deutschland, die prima davon leben, asiatische Billigwerkzeuge in einen produktionsfähigen Zustand zu versetzen.
Wie kommen gerade die kleinen Anbieter mit der Internationalisierung zurecht?
Über 80 Prozent der Branche besteht noch immer aus kleinen inhabergeführten Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern. Oft fehlen dort schon Grundvoraussetzungen wie die nötigen Sprachkenntnisse oder Personal, das sich um ausländische Märkte kümmern kann. International tätig zu sein, muss man wirklich wollen.
Wie kann jenen, die wollen, der Schritt ins Ausland gelingen?
Um im Ausland erfolgreich zu sein, muss man zunächst seine Strukturen im Griff haben und im Heimatmarkt erfolgreich sein. Dann sollte man die Mentalität im Zielmarkt kennen. Die Sprache der Kunden zu sprechen hilft auch. Im nächsten Schritt können die großen Verbände, insbesondere der VDMA mit seiner Außenwirtschafts- und Rechtsabteilung sowie seiner internationalen Präsenz wertvolle Tipps und Hilfestellung geben. Über Gemeinschaftsstände auf großen internationalen Messen ermöglichen sie eine erste Auslandspräsenz zu überschaubaren Kosten. Außerdem finden bei uns in Deutschland wichtige internationale Messen statt, zu denen Besucher aus aller Welt kommen. Auch dort bieten sich gute Ansätze für den Schritt ins Ausland.
Wie groß ist der Anteil der Werkzeugbauer, die bereits international tätig sind?
Der ist noch sehr klein. Viele Kollegen wollen aber gar nicht ins Ausland. Sie haben hier in Deutschland genug zu tun.
Welche Herausforderungen muss der Werkzeug- und Formenbau derzeit allgemein meistern?
Viele kleine Betriebe sind noch immer handwerklich geprägt. Um die Produktivität zu steigern, müssen sie ihre internen Strukturen anpassen und – wo sinnvoll – automatisieren. Einige wenige werden weiterhin in ihrer Nische leben können. Für die anderen wird das immer schwieriger. Der Wandel zum Industriebetrieb ist für sie eine Voraussetzung für den künftigen Erfolg.
Ist der Anteil an Werkzeugbauten, die diesen Schritt noch nicht vollzogen haben, tatsächlich so groß?
Aus meiner Sicht: Ja. Wir haben in Deutschland rund 3000 Werkzeug- und Formenbau-Betriebe. Sie alle müssten doch in einem kostenlosen Benchmark-Projekt, wie es das Werkzeugmaschinenlabor und das Fraunhofer IPT in Aachen mit dem Wettbewerb ‚Excellence in Production‘ anbieten, eine riesige Chance sehen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Seit Jahren nehmen am Wettbewerb gut 300 Betriebe teil. Das ist die Spitze des Eisbergs. Das sind die richtig guten Betriebe. Ich finde es schade, dass die anderen diese Chance nicht erkennen.
Vor rund einem Jahr, kurz nach Ihrem Amtsantritt als Vorsitzender des VDMA Werkzeugbaus, nannten Sie das Ziel die Branche nach außen hin zu stärken. Wie weit sind Sie damit schon gekommen?
Wir haben in Deutschland mit dem VDMA Werkzeugbau und dem VDWF, dem Verband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer, zwei starke Verbände. Im letzten Jahr sind beide Verbände enger zusammengerückt. Wir hatten einige gemeinsame Veranstaltungen, und wir haben über Arbeitsteilung gesprochen, darüber, wer welche Aufgabe übernehmen kann. Diese Zusammenarbeit ist die Basis für weitere Schritte. Das vorrangige Ziel muss sein, dass wir als Branche nach außen hin geschlossener auftreten. Denn gemeinsam sind wir stark und können die Interessen der Branche besser vertreten.
Wie kann die weitere Zusammenarbeit konkret aussehen?
Wir müssen uns immer fragen, was unsere Mitglieder brauchen, was ihnen nützt. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere jeweiligen Stärken bündeln. Beispielsweise können die Rechtsabteilung und die Auslandsbüros des VDMA im Umgang mit nicht immer fairen Kunden oder beim Eintritt in internationale Märkte unterstützen. Der VDWF hingegen bietet ein fast schon familiäres Netzwerk. Das ergänzt sich sehr gut. Gemeinsam könnten wir auch Auftritte auf Auslandsmessen stemmen, für die jeder für sich nicht die nötige Teilnehmerzahl aufbrächte. Wie gesagt: Das Ziel muss der maximale Nutzen der Mitglieder sein.
Sie sprachen den Umgang mancher Kunden mit den Werkzeugbauern an. Haben sich die Geschäftsgebaren verbessert?
Nein. Die sind in Deutschland zum Teil sehr schlecht. Während chinesische Anbieter sofort bezahlt werden, müssen deutsche Kollegen oft ein Jahr und länger warten, bis ihrer Forderungen beglichen werden. Bis dahin jammern manche Kunden auf hohem Niveau, um den Preis zu drücken und sich auf Kosten der Werkzeugbauer zwischen zu finanzieren.
Wie lässt sich das ändern?
Auch hier ist es wichtig, dass beide Verbände gemeinsam auftreten und den betreffenden Kunden klar machen, dass viele Werkzeugbauer an ihren Belastungsgrenzen operieren. 50 000 Euro sind für einen OEM ein Kleinbetrag, für manchen Werkzeugbauer aber existenzbedrohend.
Was gibt’s Neues hinsichtlich der Frage, ob Werkzeuge eine CE-Kennzeichnung brauchen oder nicht?
Diesbezüglich gibt’s in Europa nunmehr eine einheitliche Auslegung. Denn die sechzehn im europäischen Werkzeugbau-Verband ISTMA organisierten nationalen Werkzeugbauverbände haben sich den Empfehlungen des VDMA angeschlossen. Für alle, die sich über das Thema CE­ Kennzeichnung weiter informieren wollen, bieten VDMA und VDWF Seminare an.
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