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Anca-Europe-Chef Winterstein über Pläne des Schleifmaschinenbauers

Werkzeugschleifen
Martin Winterstein, Geschäftsführer von Anca Europe, über die Ziele des Familienunternehmens

Um Kunden in Zentraleuropa schneller mit individualisierten Lösungen fürs Werkzeugschleifen versorgen zu können, baut Anca seine Kapazitäten in Europa aus. Welche Pläne das australische Familienunternehmen hat, erläutert Martin Winterstein, Geschäftsführer von Anca Europe.

» Mona Willrett, Redakteurin Industrieanzeiger

Herr Winterstein, welche Ziele hat sich Anca in Europa für 2023 gesteckt?

Wir wollen künftig eigenständiger an den jeweiligen Kundenbedarf adaptierte Lösungen anbieten und unser Serviceangebot ausbauen. Um das leisten zu können, verstärken wir unser Team und erweitern unsere Kompetenzen. Bis wir die nötigen Fachkräfte gefunden und eingearbeitet haben, unterstützen uns Ingenieure aus dem Stammwerk in Melbourne, die vorübergehend in Weinheim arbeiten. Mit Blick auf die aktuellen Zahlen sind wir optimistisch, unser im Juni endendes Geschäftsjahr 2022/23 mit einem Plus von zehn Prozent abschließen zu können. Unser Auftragseingang, der sich insbesondere zum Jahresende hin sehr erfreulich entwickelt hat, gibt uns die Zuversicht, dass das auch klappt – obwohl wir das weggefallene Geschäft mit russischen Kunden kompensieren müssen.

Sie sind seit November Geschäftsführer von Anca Europe. Wie haben Sie die ersten Monate in der Position erlebt?

Edmund Boland, der Sohn unseres Gründers, hatte dieses Amt zwei Jahre lang inne, ehe er im Dezember ins Stammwerk zurückkehrte und dort nun die Rolle des General Managers CNC Machines übernimmt. Er ist im und mit dem Unternehmen aufgewachsen und kennt alles und jeden bei Anca. Insofern war es toll, dass wir im November Zeit für eine ausführliche Übergabe hatten. Der Dezember war geprägt von vielen Terminen mit allen Beteiligten an unseren Hauptstandorten in Europa, in der Zentrale in Weinheim und in Coventry in England. Im Januar war ich dann in Australien, um das Werk und seine Möglichkeiten noch besser kennenzulernen und strategische Fragen zu besprechen. Die Nachfolge von Edmund Boland empfinde ich als große und tolle Aufgabe, über die ich mich sehr freue.

Wie wollen Sie das Unternehmen in Europa weiterentwickeln?

Insbesondere die Kunden in Deutschland und in der Schweiz sind anspruchsvoll, was die mechanische Anpassung, die Automation oder die Adaption von Software angeht. Viele dieser Leistungen bieten wir schon an, aber wir werden hier unsere Ingenieurkompetenz ausbauen, um Kundenanpassungen effizienter umsetzen zu können, die Lösungen schneller vor Ort installieren und dem Anwender bei Fragen und Problemen gezielter helfen zu können. Hinzu kommt, dass wir die Servicekapazitäten und das Serviceangebot ausbauen und neben Retrofits auch weitere Leistungen wie Serviceverträge oder zusätzliche Schulungsprogramme anbieten werden.

Inwiefern unterscheidet sich Anca von anderen Schleifmaschinenherstellern?

Ein Werkzeugmaschinenhersteller aus Australien – das ist an sich schon ein wenig exotisch. Sich so weit entfernt von den Hauptmärkten auf eine Nische wie das Werkzeugschleifen zu spezialisieren, macht es noch spezieller. Hinzu kommt, dass Pat Boland und Pat McCluskey auch fast 50 Jahre nachdem sie das Unternehmen gegründet haben, noch nahezu täglich in der Firma sind. Das führt zu großer Kontinuität – sowohl hinsichtlich der Ausrichtung des Unternehmens als auch in Bezug auf die technische Entwicklung oder die Marktbearbeitung. Als weiteres Alleinstellungsmerkmal sehen wir unsere enorme Fertigungstiefe. Sie reicht von der Fertigung der Polymerbeton-Betten über die mechanische Bearbeitung, den Spindel- und Schaltschrankbau, die eigene Fertigung von Blechteilen und Linearantrieben, bis hin zur eigenen Software sowie Steuerungs- und Simulationstechnik.

Warum diese große Fertigungstiefe?

Sie macht uns flexibel und ermöglicht auch in Zeiten gestörter Lieferketten vergleichsweise kurze Lieferzeiten. Zudem gibt sie uns die Möglichkeit, auf Kundenwünsche einzugehen. Der Ursprung liegt aber in der Philosophie unserer Gründer: Wann immer sie am Markt keine zufriedenstellende Lösung fanden, entwickelten und produzierten sie eben eine eigene.

Welche Schwerpunktmärkte und -absatzbranchen hat Anca?

Es ist naheliegend, dass wir als australisches Unternehmen in Asien stark sind – etwa in China, Thailand, Korea oder Indien. Aber auch Nord- und Südamerika sind gute Märkte für uns. In Japan haben wir 2022 eine eigene Niederlassung eröffnet. Und auch in Europa sind wir gut aufgestellt, mit eigenen Strukturen in neun Ländern. Hier sehen wir aber durchaus Potenzial, weiter zu wachsen. Was die Branchen betrifft, liegt unser Fokus klar auf der Produktion und dem Nachschärfen von Zerspanwerkzeugen. Die auf unseren Anlagen geschliffenen Bohrer, Fräser, Gewinde- und Verzahnungswerkzeuge, Sonder- oder Formwerkzeuge kommen dann aber in den unterschiedlichsten Branchen zum Einsatz. Insofern sind wir breit aufgestellt, was uns auch in schwierigen Zeiten hilft.

Ihre GCX-Maschinen produzieren Werkzeuge fürs Verzahnen. Wie stark sind die in Zeiten der E-Mobilität noch gefragt?

Durch die Elektrifizierung des Autos werden weniger einfache Zahnräder gebraucht – etwa Gangräder für 8- oder 9-Gang-Getriebe. Aber die lagen ohnehin nicht in unserem Fokus. Unsere GCX-Linear-Maschinen sind konzipiert fürs Fertigen von Wälzschälwerkzeugen. Mit diesem Verfahren – auch Skiving genannt – lassen sich Verzahnungen fünf- bis zehnmal effizienter herstellen als mit traditionellen Verfahren wie dem Stoßen oder Räumen. Hinzu kommt eine deutlich höhere Verzahnungsgüte, die gerade in der Elektromobilität ein Qualitätsmerkmal ist. Insofern profitiert diese Maschinenbaureihe sogar vom Wandel in der Mobilität. Mit diesen Werkzeugen lassen sich sowohl Außen- als auch Innenverzahnungen herstellen. Auch komplexe Geometrien sind möglich. Skiving ist ein jüngeres Technologiethema, das sehr gut zu uns passt und einen wachsenden Markt bietet. Solche Werkzeuge in einer Aufspannung schruppen, schlichten, vermessen, kompensieren und fertigschleifen zu können, das sehe ich als Benchmark.

Wie kommt das vollautomatisierte Fertigungssystem AIMS im Markt an?

Wir bieten schon seit einiger Zeit Lösungen, mit denen das automatisierte Bearbeiten von Werkstücken nahezu rund um die Uhr möglich ist. Mit AIMS – unserem Anca Integrated Manufacturing System – gehen wir einen Schritt weiter und verbinden verschiedene automatisierte Prozesse mithilfe von Flurförderfahrzeugen. So können mehrere Prozessschritte, vom Schleifen übers Messen und Kompensieren bis hin zum Lasermarkieren vollautomatisiert erfolgen. Das ergibt aus meiner Sicht gerade in Europa Sinn, denn so lässt sich sowohl der Fachkräftemangel entschärfen als auch die begrenzte Bereitschaft vieler Mitarbeiter, Nacht- oder Wochenendschichten zu leisten.

Wie war die Reaktion der Kunden nach der Messe GrindingHub, auf der die Zelle erstmals vorgestellt wurde?

Wir hatten viele Anfragen und mittlerweile befinden sich erste Projekte in der Umsetzung. So komplexe Lösungen, bei denen zwangsläufig Anlagen verschiedener Partner verkettet werden müssen, lassen sich nicht in wenigen Monaten realisieren. Das Thema Prozessintegration wird uns noch lange beschäftigen. Auch deshalb bauen wir weitere Engineering- und Systemkompetenzen auf.

Welche weiteren Entwicklungen sind hier zu erwarten? Lassen sich auch Maschinen von Wettbewerbern einbinden?

Natürlich fällt es uns leichter, eine Fertigungszelle nur mit unseren Maschinen und der Messtechnik unseres Partners Zoller zu realisieren. Denn dann haben wir alle Schnittstellen im Griff. Andererseits ist es der Wunsch mancher Kunden, auch andere Technologien einbinden und komplette Prozessketten abbilden zu können. Dem versuchen wir uns Stück für Stück zu nähern, wo das eben sinnvoll und möglich ist.

Anca hat einige technologische Lösungen sehr früh in den Markt eingeführt, beispielsweise das fünfachsige Schleifen von Werkzeugen. Wie gelingt es einem Unternehmen, das geografisch nicht im Zentrum der Fertigungswelt zuhause ist, so innovativ zu sein?

Zu einem wesentlichen Teil liegt das an den Gründern Pat Boland und Pat McCluskey. Sie haben mit großem Wissen und unglaublicher Kreativität immer wieder tolle und innovative Lösungen entwickelt. So hat Anca beispielsweise bereits 1991 als erster Maschinenhersteller eine Lösung fürs fünfachsige Schleifen und Simulieren vorgestellt, die wir seither kontinuierlich weiterentwickeln. Es war immer unser Leitmotto: Wenn‘s am Markt keine gute Lösung gibt, dann machen wir es eben selbst. Aber das geschah nie aus einem Selbstzweck heraus, sondern immer mit einem sehr wachen Blick auf den Bedarf unserer Kunden. Ein Beispiel dafür ist auch das Ultra-Paket, das wir letzten September für die MX7 auf der AMB vorgestellt haben. Es bietet eine auf einen Nanometer genaue Achsauflösung. Auch hier hat uns wieder unsere hohe Fertigungstiefe geholfen, alle damit verbundenen Herausforderungen in kurzer Zeit zu meistern – etwa die nötige höhere mechanische und thermische Stabilität, spezielle Algorithmen oder Sensoren. Mit dieser Maschine kann der Anwender Werkzeuge mit höchsten Oberflächengüten und mit hochgenauen Schneidkanten prozesssicher in Serie herstellen.

Lässt sich das Ultra-Paket nachrüsten?

Nein. Die Grundmaschine ist zwar die gleiche, aber es gibt Hardware- und Ausstattungsmerkmale, die von vorn herein so vorgesehen sein müssen. Ein Beispiel sind steifere Achsausführungen.

Wie schafft es ein australischer Maschinenbauer, seinen Kunden weltweit einen effizienten und preislich attraktiven Service zu bieten?

Weil es keinen nennenswerten Markt vor Ort gab, war Anca von Anfang an gezwungen, in den Export zu gehen. Inzwischen sind wir in den meisten wichtigen Märkten mit eigenen Niederlassungen präsent, in vielen weiteren durch Handelspartner vertreten. Insofern ist das kein Thema mehr. Aber zu Beginn mussten wir schon sehr genau auf Rückmeldungen von Kunden achten. Wichtig waren dabei ein enger Kontakt, zuverlässige Maschinen und innovative Kommunikationsansätze. So gehörten wir zu den Ersten, die ihre Maschinen mit einem Modem ausstatteten, um Kunden auch aus der Ferne unterstützen zu können.

Welche Bedeutung hat das Hype-Thema „Nachhaltigkeit“ bei und für Anca?

Eine große. Ein Beispiel: Anca bezieht seine Energie in Melbourne von einem örtlichen Windenergie-Anbieter und hat auch weitere Maßnahmen umgesetzt, um den Energieverbrauch zu senken. Das Gleiche haben sich die Niederlassungen auf die Fahne geschrieben. Was noch relativ neu ist: Wir gehen gezielt auf Kunden zu und bieten an, zehn bis 15 Jahre alte Maschinen mit neuen Achsen, Führungen, moderner Steuerungstechnik und Software auf den aktuellen Stand zu bringen. Wir haben mittlerweile in Deutschland und England regelmäßig Rückläufer von Kunden, die ihre alte Maschine retrofitten lassen oder sie in Zahlung geben, die wir dann aufbereiten und weiterverkaufen. So erreichen wir eine deutlich längere Einsatzzeit der Maschinen und verbessern so die Ressourceneffizienz.

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