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Prozesslösung aus einer Hand ist gefragt

Halleneinrichtung: Bis zu 40 % Effizienzsteigerung
Prozesslösung aus einer Hand ist gefragt

Ergonomie lautet das Zauberwort beim Einrichten von Produktionshallen. Dort schlummern nicht nur immense Optimierungspotenziale. Pfiffige Lösungen verringern auch den Krankenstand von Mitarbeitern.

Wochenlang konnte der Arbeitsplatz nicht genutzt werden. Der Grund: Der Teilezurichter hatte Kopfschmerzen. Tausende Euro gab die Geschäftsleitung für die Ursachenforschung aus. Emittierte der Boden? War der Lärm zu groß oder die Hitze? .

Die Ursache für die Kopfschmerzen lagen übrigens im privaten Umfeld des Arbeiters. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt. Beispiele wie dieses sind sicher extrem. Aber Teil der Realität in deutschen Fabrikhallen. „Bei uns landen nun mal die krassesten Fälle,“ sagt Helmut Blome. Der Professor leitet in St. Augustin das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Seine 250 Mitarbeiter beleuchten im Auftrag der bundesweit 16 Berufsgenossenschaften strittige Arbeitsunfälle und ermitteln als Sachverständige insbesondere bei Todesfällen auch schon mal im Auftrag der Staatsanwaltschaft.
„Die Abgrenzung von technischen Spezifikationen gegenüber Arbeitssicherheit oder Ergonomie wird immer schwieriger,“ sagt der Chemiker, der seit 1980 im Institut arbeitet. Blome gibt ein Beispiel: Seit Jahren seien Sägeblätter auf dem Markt, die die Lärmemission beim Schneiden von Metall, Stein oder Holz um bis zu 15 dB senken. Weil diese aber 20 % teurer als herkömmliche Blätter sind, seien sie kaum verbreitet. Dabei garantiere die verminderte Vibration, dass das Blatt doppelt solange halte und zudem präziser schneide.
Informationen wie diese werden bei der Carl Stahl GmbH in Süßen gierig aufgesogen. Seit Jahren baut der Spezialist für Seil-, Hebe- und Sicherheitstechnik seine Produktlösungen immer weiter zu Gesamtpaketen aus, um sie als Beratungsdienstleistung überall dort anzubieten, wo Fertigungshallen neu eingerichtet werden. Das reicht von Hubtischen über Krane bis zu Anschlagmitteln und Zubehör zur Ladungssicherung, wenn das fertige Produkt ausgeliefert wird.
Seminare für die Mitarbeiter der Kunden, wie man Lasten ordnungsgemäß hebt, Zurrketten fachmännisch einsetzt oder den Verschleiß textiler Bänder erkennt, waren der zweite Schritt, um sich bei Kunden unentbehrlich zu machen. „Wer beim Verladen eine versandfertige Maschine schon mal beschädigt hat, ist für das Thema sensibilisiert,“ sagt Wolfgang Schwenger. Der Geschäftsführer der Carl Stahl GmbH bietet neuerdings ganze Halleneinrichtungskonzepte oder Arbeitsplatzgefährdungsanalysen an.
Von einer solchen Dienstleistung hätte Walter Daibler vom Maschinenbauer Lauffer schon 1999 gerne profitiert. Damals war dem Hersteller hydraulischer Pressen aus Horb am Neckar die komplette Fabrik abgebrannt. Binnen Wochen musste ein Provisorium gefunden und eingerichtet, der Schaden mit der Versicherung abgewickelt und parallel das neue Werk für 240 Mitarbeiter aufgebaut werden. „Das war für einen Werksleiter, der den laufenden Betrieb managen soll, eigentlich zuviel,“ sagt der 56-Jährige, der vom Gewerbeaufsichtsamt über Berufsgenossenschaft und Kommune bis zum Finanzamt (wegen Abschreibungsmöglichkeiten für bestimmte Investitionen) viele Ansprechpartner mit teils widersprüchlichen Interessen hatte, um den Neubau binnen 18 Monaten zu realisieren.
Doch der 60-Millionen-Euro-Kraftakt lohnte sich: 40 % effizienter als die alte Halle sei die neue Fabrik, sagt Werksleiter Daibler. Statt sechs verfüge die Halle nun über 15 Krane, was die Abläufe beschleunige. Denn zum einen muss nirgendwo mehr gewartet werden, bis ein Kran frei ist, zum anderen werden die Hebehelfer weit mehr und qualifizierter als früher eingesetzt, so dass insbesondere die Zahl der Rückenbeschwerden und Fingerquetschungen im Betrieb massiv zurückgegangen ist. Dasselbe gilt für die Stapler, von denen nun sieben statt zwei durch die Halle fahren.
Wie es aussieht, wenn eine Firma statt einzelner Produkte komplette Lösungen bietet, belegt die Meva GmbH in Heiterbach. Bei dem Zulieferer von Großbaustellen verlassen täglich hunderte Schalungen mit Stahlrahmen und Kunststoffoberfläche sowie Stahlstützen den Werkshof – oder kommen verschmutzt und ramponiert zurück. Bis voriges Jahr wurden die bis zu 80 kg schweren Teile von je zwei Männern von Hand verladen und gereinigt.
Entsprechend hoch waren Krankenstand und Verschleiß der Mitarbeiter. Hier entwickelte der Werksleiter zusammen mit seinem Lieferanten Carl Stahl, der als Einrichter hunderter Fabriken mit jährlich dutzenden Problemen des Materialflusses befasst ist, ein Logistikkonzept. Kernstück der Lösung ist seit Januar eine Hängebahn, an der die Arbeiter mit elektrischen Balancern die Teile aufnehmen und einhängen. Dank der Ein-Hand-Bedienung, vergleichbar einem Motorradgriff, ist die zweite Hand zum Führen oder Reinigen der Stützen und Schalungen frei.
Beim Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation beobachtet man solche Entwicklungen mit Interesse. Oliver Scholtz vom Marktstrategieteam bestätigt, dass die Produktionssystemplanung der Firmen immer ganzheitlicher wird. Denn wegen des Kostendrucks müsse die Produktivität weiter gesteigert werden und parallel der Krankenstand gesenkt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels spiele auch das Argument attraktiver und ergonomischer Arbeitsplätze zunehmend eine größere Rolle, um junge Mitarbeiter für den eigenen Betrieb zu gewinnen und ältere bis zur Rente mit 67 beschäftigen zu können.
Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass es zum Thema offenbar bundesweit keine aktuellen und aussagekräftigen Studien gibt. Einig sind sich Experten und Praktiker aber, dass gerade in der Inneneinrichtung von Fabrikhallen noch Optimierungspotenziale von 30 % und mehr schlummern, die am besten durch den interdisziplinären Dialog gefunden werden.
So bietet der Hebetechnikspezialist Carl Stahl Maschinenbauern an, ihn bereits in die Entwicklungsphase neuer Apparate einzubinden, um zu definieren, wo die Anschlagpunkte sitzen müssen, um das Produkt später während seiner Herstellung durch die Montage zu befördern und danach zum Kunden.
Leonhard Fromm Journalist in Göppingen

Gefährdungsanalysen am Arbeitsplatz
Zentrales Thema beim Consulting ist neben der Prozessoptimierung und Sicherheit beim Materialfluss die Gefährdungsanalyse rund um den Arbeitsplatz. Dabei arbeitet Carl Stahl mit externen Sicherheitsingenieuren zusammen. Diese durchleuchten auf Wunsch des Kunden mit einem Carl-Stahl-Experten alle Bereiche vom Arbeitsplatz in der Fertigung bis hin zu den Büros auf Aspekte wie Sicherheitseinrichtungen an Maschinen, Lärm- und Staubschutz, Gerüche, Ergonomie am Arbeitsplatz, Zustand und Umfang der Anschlagmittel, innerbetrieblicher Warentransport, Strom, Licht und gefährliche Stoffe.
Die Betriebsbegehung dokumentieren die Experten anschließend schriftlich, weisen auf Mängel und Risiken hin und unterbreiten Vorschläge zur Abhilfe. Damit erfüllt der Arbeitgeber einen großen Teil seiner Sorgfaltspflicht, was ihm Rechtssicherheit verschafft, und erhält zudem eine Grundlage zur Prozessoptimierung. Weitere Beratungsleistungen sind Restnutzungsdauerberechnungen von Hubwerken, Unterweisungen von Mitarbeitern, Auswahl und konstruktive Anwendungen von Drahtseilen sowie Konzepte zum Anschlagen und Verladen.

Marktchancen
Die Produktionssystemplanung der Firmen wird immer ganzheitlicher. Wegen des Kostendrucks muss die Produktivität weiter gesteigert und parallel der Krankenstand gesenkt werden. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels spielt laut dem Fraunhofer IAO auch das Argument attraktiver und ergonomischer Arbeitsplätze zunehmend eine größere Rolle, um junge Mitarbeiter für den eigenen Betrieb zu gewinnen und ältere bis zur Rente mit 67 beschäftigen zu können.
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